Tortenschlacht
Nachtschrank gefunden haben, überlege ich und schließe die Tür meines Wagens auf.
13 SAMSTAGS WAR Damenwahl! Da blieb Mann nicht zu Hause. Schon gar nicht ein Kerl wie Heini Boelter!
Das vergangene halbe Jahr war ganz gut gelaufen für ihn. Tantchen Frieda war dummerweise gestorben, hatte ihm aber immerhin ihr Sparbuch mit sechstausend Mark hinterlassen, sodass Boelter endlich seinen alten Traum wahr machen konnte, und der hieß, bei aller Liebe zum weiblichen Geschlecht: Unabhängigkeit.
Gerade jetzt, wo überall Westen war, war Flexibilität überlebenswichtig – und deshalb kündigte Boelter den Job als abhängig beschäftigter Taxifahrer beim VEB Taxi Berlin (oder Spreefunk, wie er jetzt hieß), um sich selbstständig zu machen. Nicht mit einem Mercedes, nein, seine Taxe war besonders.
Bei einem Schrotthändler hatte er einen alten 56er Plymouth Savoy aufgetan, ein geiles Teil mit Heckflosse und roten Ledersitzen. Ein Traumwagen, der Heini schlaflose Nächte bereitete. Wochenlang hatte er in seiner kleinen Garage verbracht, wo er schraubte, schweißte und umlackierte, um so seinem automobilen Liebling in mühsamer Kleinarbeit wieder zu alter Schönheit zu verhelfen. Schnecke hatte irgendwann keinen Bock mehr gehabt und war eifersüchtig abgehauen, aber was soll’s: Umgespritzt und mit schwarz-weißen Zierstreifen versehen war aus dem Plymouth ein richtiges New Yorker Yellow Cab geworden, sogar erfolgreich durch den West- TÜV gekommen und zur gewerblichen Personenbeförderung zugelassen worden.
Blöd war nur, dass dieser Borsalinohut wieder aufgetaucht war. Offenbar hatte Heini Boelter in der internationalen Agentenszene punkten können. Im freien Spiel geheimer Mächte sozusagen. Zwar hatte er diesmal gut zehn Mille kassiert, dafür hatte es der Auftrag in sich. Verdammt noch mal, so eine Scheiße aber auch, war Heini etwa der Mann fürs Grobe? Nee, war er nicht, und deshalb schwor er Stein und Bein, künftig auf Ausflüge ins Agentenmilieu zu verzichten. Er war zu alt für derartige Abenteuer, diesen nervlichen Stress hielt er nicht aus. Viel lieber fuhr er als »The Checker« und freier Taxifahrer durch die Straßen und riss nebenher ein paar Weiber auf.
Die gab’s wie Sprotten in der Ostsee. Man musste nur wissen, wo man fischen gehen konnte, und etwas mehr Zeit für die Elvistolle aufbringen. Dazu ordentlich Old Spice unter die Achseln gesprüht, ein enges Shirt übergezogen und die rot-weiße Lederjacke mit den passenden Buffalos aus dem Schrank geholt, bevor es im Plymouth in die Auguststraße ging.
In »Clärchens Ballhaus« war immer Damenwahl, hier hatte die Tanzkapelle noch den original Rockabilly-Sound drauf und spielte Stücke von Johnny Burnette, Eddie Cochran und Buddy Holly. Der richtige Ort, um die Agentenkohle auf den Kopf zu hauen.
Boelter liebte es, wenn die Tischtelefone aufleuchteten und er seine Blicke durch den Raum schweifen lassen konnte, um herauszufinden, welcher Zuckerschnute wohl die süße Stimme im Hörer gehören mochte. War es die Kunstblonde da drüben, schon etwas ältlich, aber sicher hungrig im Bett? Oder die Dunkle am Fenster, die mit den schönen Beinen in dunkelblau schimmernden Leggings?
Manchmal konnte man sich furchtbar täuschen, da stellte sich die erotische Flüsterin am anderen Ende der Leitung bald als entsetzliche Zicke mit Torschlusspanik heraus. Vor denen musste man sich in Acht nehmen: Frauen um die vierzig mit drängendem Ehe- und Kinderwunsch. Berlin war voll davon. Hier wurde man als alleinstehender, unabhängiger Mann regelrecht gejagt – dabei wollte Heini doch nur sportlich fischen gehen.
Heiliger Strohsack, was für eine Käthe! Boelters Blick saugte sich an einer Enddreißigerin im Dirndl fest. Ja, Himmel, Arsch und Zwirn, wer hatte die denn hier geparkt? Ein Vorbau wie aus ‘ner Weißbierreklame, dazu stramme, aber wohlgeformte Waden – Boelter mochte es, wenn die Damen etwas draller waren. Tischnummer zwölf, soso …
Er wartete, bis die Kapelle seinen Song spielte, »Good Rockin’ Tonight«, jeden Abend kurz nach eins. Dann orderte er einen Drink für die ins Auge gefasste Dame, »irgendwat Buntet mit Kirsch und Curaçao«, und tänzelte, noch während die dralle Schönheit darüber rätselte, wer ihr den Cocktail spendiert hatte, rüber zu ihrem Tisch.
»Hi, Baby!«
Niemand konnte so heiß »Hi, Baby« sagen wie Heini Boelter. Zog er dabei noch seine rechte Augenbraue hoch, schmolzen die Damen dahin wie weiche Butter.
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