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Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt

Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt

Titel: Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dario Castagno
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die Böschung hinauf, etwas versteckt hinter Bäumen, stand ein Bauernhaus. Ich fuhr langsamer und schaute genauer hin. Es wurde mir klar, dass man es nur wegen der kahlen Herbstbäume sehen konnte. Die Fassade und gähnende Fensteröffnungen schauten zwischen den nackten Zweigen hindurch. Das Haus war offensichtlich unbewohnt. Plötzlich fühlte ich mich um zwanzig Jahre zurückversetzt. Ich wurde von derselben Begeisterung erfasst wie damals als Teenager, wenn ich mit meinem Motorrad auf ein altes, einsames und unerforschtes Bauernhaus stieß.
    Ich streckte meinen Kopf zum Fenster hinaus und sah, dass das Haus gut erreichbar war. Ich musste nur den kleinen Bach überqueren und durch das Eichendickicht hinaufklettern. Am liebsten hätte ich das gleich getan, aber ich hielt mich zurück. Zuerst musste ich wie abgemacht meine Oliven pressen lassen!
    Ich parkte auf dem Platz vor der Ölmühle, öffnete die Hecktür und übergab dem Mühlenbesitzer meine wertvolle Ladung. Er war zufrieden, weil ich so pünktlich gekommen war, und grüßte mich mit einem freundlichen Brummen. Alles, was mir jetzt zu tun blieb, war abzuwarten, bis die alten Mühlsteine aus Granit ihre Arbeit getan hatten. Ich war nicht allein. Mit mir warteten einige der bekanntesten Originale der Gegend. Alle brannten darauf, mit ihrem Öl nach Hause zurückzukehren. Zambone lehnte sich mit dem Rücken an die Steinmauer. Er war der gefürchtetste Jäger in der Umgebung. Man sagte, er sei so stark, dass er zwei Wildschweine unter den Armen davontragen könne – die Legende schweigt darüber, ob tot oder lebendig. Nervös strich er sich über den Ziegenbart, während er mit seinem Jagd- und Trinkkumpanen Tanacca plauderte. Beim Dröhnen der Maschinen konnte ich nicht hören, worüber die beiden sprachen, aber ich wusste, dass die möglichen Gesprächsthemen sich auf die Ölqualität, die letzte Wildschweinjagd, den Fußball und die Frauen beschränkten. Tanacca, ein bekannter mangiapreti – wörtlich ein »Priesterfresser«, ein Kirchengegner – füllte seine Lunge mit Zigarettenrauch und gab eine Reihe obszöner Ausrufe zum Besten, von denen er ein beachtliches Repertoire besitzt.
    Inzwischen war Mario hereingekommen. Seiner Kleidung nach zu urteilen, kam er vom Pilzesuchen. Er schaute sich um, und als er mich sah, grüßte er mich höflich. Groß und sehnig, immer etwas nach vorne geneigt, ist Mario sehr schüchtern und wortkarg. Er lebt allein mit seiner alternden Mutter. Ich hatte ihn vor ein paar Monaten in einer Bar kennen gelernt. Während wir unseren Grappa tranken, erzählte er mir von seiner Leidenschaft für die Kunst. Ich wurde neugierig und er immer gesprächiger. Schließlich hatte ich ihn trotz seines anfänglichen Zögerns dazu bringen können, mir seine Werke zu zeigen. Ich traute meinen Augen nicht. Sein Haus war voll von Skulpturen, die er aus alten Baumstämmen geschnitzt hatte, und Ölgemälden, die einem Kunstakademie-Absolventen zur Ehre gereicht hätten. Mario aber hat nie studiert. Er ist ein Naturtalent, ein kleiner, in den vier Wänden seines bescheidenen Hauses versteckter Michelangelo.
    Gazzas Öl war fertig, und er lud die drei Kanister in seinen Fiat Fiorino, als Zambone und Tanacca ohne einen besonderen Grund anfingen, ihn zu necken. Gazza wird von allen hochgenommen. Er lebt allein und gilt als der Dorftrottel. Jeden Abend schläft er bei laut plärrendem Fernseher auf einem der unbequemen Stühle in der Dorfbar ein. Plötzlich wird er schlaff, sein Kopf fällt nach hinten, und sein Mund öffnet sich. Unweigerlich vergnügen die jüngeren Kunden sich nun damit, ihm Papierfetzchen in den Mund zu werfen, bis eines in die Luftröhre gelangt, er beinahe erstickt und deshalb erschreckt aufwacht, wobei er seinen Stuhl umstößt und manchmal auch den Tisch – zur allgemeinen Belustigung der kleinen Zuschauermenge, die diesen Augenblick nie verpasst.
    Die Zuschauer sind auch die Witzbolde, die Gazza eines Tages erzählt haben, wie er Stachelschweine fangen könne. Er müsse nur in einer Vollmondnacht im Wald mit einer Kuhglocke läuten. Dann würden die Stachelschweine ganz zahm in einen von ihm hingehaltenen Sack spazieren. Tatsächlich ging Gazza nachts in den Wald und versuchte die Sache. Seine »Freunde« lauerten hinter ein paar Bäumen auf ihn und überfielen ihn mit Kübeln voll Wasser. Patschnass von Kopf bis Fuß, kam der arme Gazza nie dahinter, wer ihn angegriffen hatte. Am nächsten Tag fragten ihn die anderen, wie

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