Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt
ankam, sah ich, dass mein Anrufbeantworter blinkte. Ich hörte die Mitteilung ab: »Dario, mein Freund! Wir sind bereit. Es ist elf Uhr dreißig. Wo bist du?«
Intervall – Die andere Seite meldet sich zu Wort
Von Robert Rodi
Vieles in den vorhergehenden Kapiteln kommt mir bekannt vor, ich bin nämlich einer von Darios amerikanischen Kunden. Allerdings sind wir in all den Jahren Freunde geworden, und er bedeutet mir jetzt fast so viel wie ein Bruder. Am Anfang aber, als mein Partner Jeffrey und ich ihn das erste Mal gebucht hatten, wussten wir wenig über Italien und nichts über ihn. Seither habe ich mich oft gefragt, was er über uns gedacht hat. Als typische Amerikaner erzählten wir ihm schon auf den zehn Metern bis zum Bus unsere ganze Lebensgeschichte.
Was wir über ihn denken? Dass er selbstsicher ist und gut aussieht, dass er gutmütig, intelligent und – vor allem – zurückhaltend ist. Amerikaner meiner Gesellschaftsschicht – Mittelschicht – und in meinem Alter – Babyboom – haben eine eigenartige Krankheit: Wir beichten. Wir erzählen alles in einem großen Schwall. Und damit auch ja nichts vergessen wird, erzählen wir alles noch mal – wenn möglich, im Fernsehen.
Diese Fluten übermäßiger Information prallten an Dario ab wie an einem Felsvorsprung. Er schien völlig unbeeindruckt zu sein, und ganz bestimmt fühlte er sich nicht dazu veranlasst, es uns gleichzutun. Nach dem ersten Tag mit ihm wussten wir recht viel über die Chianti-Gegend, aber praktisch nichts über ihn selbst.
Darios Verschwiegenheit wirkt übrigens auf uns Durchschnittsamerikaner äußerst anziehend: Sie ist so typisch »Alte Welt«. Dario ist ein Gentleman im ursprünglichen Sinn des Wortes. In den folgenden Tagen begann dieses Bollwerk der Verschwiegenheit langsam zu bröckeln, weil wir uns als seines Vertrauens würdig erwiesen, indem wir eifrig das Essen, den Wein und die ganze Kultur, die er uns näher brachte, in uns aufnahmen. Ich glaube, es war ganz besonders unsere sofortige und anhaltende Begeisterung gegenüber Siena, der wir sein Vertrauen verdanken. Wir verliebten uns sofort in diese Stadt. Als wir das erste Mal durch das Romanator über das ziegelrote Straßenpflaster bis zum Campoplatz spazierten, wussten wir, dass wir einen Ort gefunden hatten, an den wir immer wieder zurückkehren würden, mit immer größerer Zuneigung. Wie Florenz ist Siena eine außerordentlich männlich wirkende Stadt. Aber während die arrogante Stadt Florenz ihre Schönheit wie eine Rüstung zur Schau stellt, gleicht die Schönheit Sienas den Muskeln eines Athleten, ist kraftvoll und anmutig zugleich.
Während Darios Zurückhaltung abnahm, erlitt sie auch einige unerwartete Hiebe. Er fuhr mit uns nach Sant’Antimo, damit wir den gregorianischen Gesang hören konnten, aber wir kamen dort knapp vier Minuten vor Ende der Messe an. Es war ihm äußerst peinlich, und er entschuldigte sich überschwänglich. (Seither sind wir nochmals da gewesen, sogar zweimal, und haben die ganze Messe gehört.) Er fuhr mit uns zum Castello di Brolio und erklärte uns auf der Fahrt dahin, was er uns alles zeigen wolle. Als wir ankamen, war das Schloss geschlossen. Wieder Verlegenheit und Entschuldigungen. (Wir sind inzwischen nochmals da gewesen – dreimal. Es stimmt, die Aussicht ist genauso, wie Dario sagt!)
Das größte Kompliment, das ich ihm machen kann, ist, dass derartige Zwischenfälle dem Erfolg des Ausflugs keinen Abbruch taten. Mit seiner außerordentlichen Ruhe, seiner selbstverständlichen Überzeugung, dass selbst das Mittagessen eine dreistündige Angelegenheit sei, seiner vollkommenen Integration in die unumstößlichen Rhythmen einer alten Landschaft hatte er uns schon lange überzeugt, dass man das Chianti-Gebiet nicht auf einer flüchtigen Besichtigungsreise kennen lernen kann. Man kann nicht von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit hasten und versuchen, sich alles ins Gedächtnis zu hämmern oder gar auf Video zu bannen. Um das Chianti-Gebiet kennen zu lernen, muss man die Dinge dankbar und genießerisch so nehmen, wie sie kommen. Das Schloss von Brolio ist geschlossen? Dann trinken wir irgendwo etwas und freuen uns am Sonnenschein!
Wir kehrten nach Hause zurück und waren andere Männer geworden. Als wir das nächste Mal kamen, hatten wir etwas Italienisch gelernt und verstanden genug, um über die Schlagzeilen in der Zeitung zu lachen, die über die Pisaner spotteten. Wir flogen in die Vereinigten Staaten
Weitere Kostenlose Bücher