Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt
Eingang. Vorsichtig ging ich die wackligen Stufen hinauf. Auf dem Absatz oben angekommen, gab ich der Tür einen leichten Stoß. Sie öffnete sich ohne das geringste Quietschen. Ich trat ein. Drinnen fiel mein Blick sofort auf eine prachtvolle Feuerstelle mit einem massiven Kastanienbalken, der in all seinen Löchern offensichtlich schon viele Generationen von Holzwürmern beherbergt hatte. Erstaunt bemerkte ich rote Glut. Auf dem Boden vor der Feuerstelle waren Zigarettenstummel verstreut, und eine erst vor kurzem geöffnete Weinflasche stand ebenfalls auf dem Boden. Da hörte ich aus dem Nebenraum ein leises Geräusch. Ich bewegte mich nicht.
Die Tür ging auf, und zwei Teenager schauten mich misstrauisch an. Ich hatte sie offenbar ebenso erschreckt wie sie mich. Mit gesenktem Kopf und einem leichten Stammeln sagte der Bursche: »Entschuldigen Sie, w-w-wir wollten nicht …«
»Schon gut«, beruhigte ich ihn, »ihr seid nirgends eingedrungen. Das Haus ist eindeutig verlassen, oder nicht?« Ich streckte meine Hand aus und fuhr fort: »Ich bin Dario. Ich habe gesehen, dass ihr ein Feuer gemacht habt. Wenn ihr nichts dagegen habt, trockne ich ein bisschen meine Füße.« Ich setzte mich auf eine Bank vor die Flammen, und die beiden Teenager, Massimo und Rebecca, setzten sich mir gegenüber. Zwischen uns war nur das Feuer.
Sie hatten meinetwegen eine aufregende Viertelstunde verbracht, aber jetzt hatten sie sich beruhigt, und wir stellten uns gegenseitig vor. Sie waren siebzehn und beide in ihrem letzten Jahr auf dem künstlerischen Gymnasium in Siena. Seit zwei Jahren benutzten sie das Haus als ihr Versteck. Ich hörte ihnen gerührt zu und dachte an meine eigenen Abenteuer vor zwei Jahrzehnten. Nicht nur was sie erzählten, auch ihre Kleider glichen stark meinen eigenen damals, trotz der vielen Trends und Moden in den vergangenen Jahren.
Was sie als moderne Teenager kennzeichnete, waren ihre Tätowierungen und Piercings, die zu meiner Zeit in Italien völlig unbekannt waren. Anfangs der Achtzigerjahre hatte mich mein einzelner Ohrring als zweideutig und verdächtig gebrandmarkt. Sie, mit ihren vielen Ohrringen und gepiercten Nasen und Zungen, fielen möglicherweise überhaupt nicht auf.
Rebecca war ausgesprochen anmutig und hatte eine raue Stimme, die ich sehr sexy fand. Ihr lockiges schwarzes Haar hatte einen fast blauen Schimmer und fiel auf ihre schmalen Schultern. Sie war sehr dünn, aber wohl proportioniert. Sie hatte einen leichten Silberblick, und ihre hellblauen Augen bekamen dadurch einen goldenen Glanz. Die auffällige Nase verlieh ihr den Eindruck eines ernsten Mädchens, das wusste, was es wollte.
Massimo dagegen sah eher wie ein Spitzbube aus, schalkhaft blickten seine Augen in die Welt. Ohne großen Erfolg versuchte er, sich am Kinn seines langen, hageren Gesichtes einen Bart wachsen zu lassen. Sein glattes Haar war ungekämmt und unnatürlich rötlich gelb gefärbt. Er war groß und drahtig und hatte lange, schlanke Hände mit beweglichen Pianistenfingern.
Als er mir ein etwas zu volles Glas Wein anbot und dabei ein paar Tropfen über den knackenden Flammen verschüttete, bemerkte ich, dass beide Farbflecken an Kleidern und Händen hatten. Massimo und ich prosteten uns zu. Rebecca trank nicht.
Ich redete ein wenig über mich, über meine alte Leidenschaft für verlassene Bauernhäuser und über meine Arbeit. Besonders fasziniert waren sie von meinen Geschichten über die Chianti-Gegend der Siebzigerjahre, die Feste in den alten Häusern und die Veränderungen im Chianti in jüngster Zeit. Sie erzählten mir, dass ihre Freunde ganz anders seien als meine. Sie kannten niemanden, der seine Freizeit auf dem Lande oder gar im Freien verbringen würde. Alle zogen es vor, im Internet auf Entdeckungsreisen zu gehen statt auf alten Naturstraßen. »Aber uns gefällt das alles«, sagte Massimo, »und wir möchten etwas tun, um es so zu erhalten, wie es ist!« Sie erzählten mir, dass sie begeistert an ein paar Antiglobalisierungs-Märschen teilgenommen hatten, aber seit Aufruhr und Gewalt bei solchen Aktionen an der Tagesordnung seien, seien sie nicht mehr hingegangen. »Wie ist es möglich«, sagte Massimo, »dass Leute mit Eisenstangen bewaffnet an Friedensmärschen teilnehmen? Und dann erwarten sie, dass das Ganze nicht in eine Straßenschlacht ausartet!«
»Übrigens«, sagte Rebecca, die sich endlich an meine Gegenwart gewöhnt und ihre anfängliche Schüchternheit überwunden hatte, »wir kommen
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