Total bedient: Ein Zimmermädchen erzählt (German Edition)
entrichten, tranken die Colas, Biere und den kleinen Roten, als sei es ein Geschenk des Hauses. Den Aufwand, ihnen den entstandenen Schaden
nachträglich in Rechnung zu stellen, machten wir nie. Die allermeisten Rezeptionisten geben klein bei. Sie müssen es tun, weil man den Gast ja nicht verärgern will, schon gar nicht in der Lobby öffentlich bloßstellen, er soll ja noch einmal wiederkommen. Der Gast ist, wenn es drauf ankommt, immer König. Und wir seine Idioten.
Auch an den Pay-TV-Konsum wollte sich am Morgen danach keiner mehr gerne erinnern. Vor allem die männlichen Gäste schienen beim Verlassen des Hotels von partiellem Alzheimer befallen zu werden. »Ich, Pay-TV? Wie kommen Sie denn auf so was?« Und dann die obligatorische Entrüstung darüber, einem unschuldigen Gast so etwas anhängen zu wollen. Auch sehr beliebt: »Ach, da muss ich wohl aus Versehen auf den Knopf gekommen sein.«
Ja, sicher. Um die Bezahlkanäle zu nutzen, musste man drei Mal bestätigen und der Sender musste länger als zwei Minuten laufen, bevor die Kostenuhr anfing zu ticken.
Und auch da lächelte man, verzieh das Geflunker und setzte die acht Euro Bumsfernsehen nicht mit auf die Rechnung.
Noch unangenehmer waren jene Gäste, die an der Rezeption anriefen und vermeldeten, es gebe da ein Problem mit den Fernsehkanälen. Und wenn wir dann im Zimmer waren, baten sie uns, für sie den Pornokanal einzustellen. Sara lachte darüber.
»Solange der sich dabei nicht noch einen runterholt, ist mir das doch egal«, sagte sie.
Es kam auch nicht selten vor, dass alleinreisende Männer sich vom Ku’damm eine grell geschminkte Begleitung
in weißen Lacklederstiefeln mitbrachten, die selten länger als ein Stündchen im Zimmer blieb. Bis auf eine Ausnahme. Ich stand mit Herrn Köster morgens an der Rezeption, und er hatte ausnahmsweise gute Laune, als das Telefon klingelte und ein Gast, der schon morgens vor sechs abgereist war, mir mitteilte, er habe leider etwas im Zimmer vergessen.
»So eine hellbraune Brieftasche«, sagte er und bat um Nachsendung, die Adresse habe man ja noch im Computer. Köster ging selber los, um einen Blick in das Zimmer zu werfen. Er hatte wirklich unfassbar gute Laune. Nach weniger als zwei Minuten kam er kreidebleich wieder zurück, telefonierte hektisch mit dem Hausmeister, der gefälligst sofort mit einer Zange kommen sollte, und rief als Nächstes die Polizei. Im Zimmer saß, nackt und mit Handschellen an ein Heizungsrohr gefesselt, eine heulende Prostituierte, der der Kerl ihr gesamtes Geld gestohlen hatte. Wie die Polizei später feststellte, war er unter falschem Namen und falscher Adresse bei uns eingecheckt. Wie schön, dass er wenigstens die Hotelrechnung beglichen hatte.
Den traurigsten Fund machten wir im Zimmer eines älteren Herrn, der regelmäßig ins Central kam – immer alleine und immer auf der Suche nach hübschen Jungs, die er am Bahnhof Zoo einsammelte und mit ins Zimmer nahm. Beim Frühstück erzählte er trotzdem manchmal von seiner Frau. Er wurde eines Morgens tot in seinem Bett gefunden, neben ihm lagen eine Nadel und ein Lederhalsband. Er hatte seine letzte Erektionsspritze nicht vertragen und verstarb an einem Herzinfarkt. Der Stricher
war natürlich längst über alle Berge – vermutlich war er genauso erschrocken wie wir, als wir den Alten fanden. Dana schickte uns sofort aus dem Raum, es kamen die Polizei und schließlich die Männer vom Bestattungsinstitut. Da der Sarg so sperrig war, dass er unter keinen Umständen in den Fahrstuhl gepasst hätte – auch nicht hochkant –, blieb ihnen nichts anderes übrig, als ihn vom fünften Stock über die Treppe nach unten zu tragen. Weil das Central ein offenes Treppenhaus hat, das in jeder Etage mitten im Flur liegt und außerdem an der Rezeption vorbeiführt, geschah der Transport unter reger Anteilnahme der Gäste. Ein paar ältere Damen schlugen mit einem Aufschrei die Hände vors Gesicht. Das Zimmer blieb für Wochen gesperrt.
Die Frau des Verstorbenen verzichtete darauf, dass Sara ihr die Habseligkeiten ihres Mannes zuschickte: »Werfen Sie ihm das Zeug ins Grab hinterher«, schrie sie ins Telefon.
Als ich mich an die Nutten und Pornogucker halbwegs gewöhnt hatte, erweiterte sich mein Erfahrungshorizont erneut: Der Typ war gar nicht so alt, vielleicht Mitte vierzig, schmächtig, ein alleinreisender Geschäftsmann, der für zwei Nächte gebucht hatte. Er hatte mich schon beim Check-in länger als nötig angestarrt, was ich
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