Total bedient: Ein Zimmermädchen erzählt (German Edition)
doch noch gefunden hatte.
Als Köster so brüllte, war mir natürlich sofort klar, was ich vergessen hatte. Man hätte die Frage, welche Zimmer nun beziehbar sind, schnell am Telefon klären können, aber dazu hätte er mir zuhören müssen. Danach war ihm jetzt offensichtlich nicht. Ich nahm die Treppe, nicht den Aufzug, weil ich so schneller war und weil ich ahnte, dass es jetzt auf jede Sekunde ankam, in der man vermeiden konnte, dass sein Blutdruck weiter stieg.
Köster stand vor dem Rezeptionstresen, neben ihm die Japaner, und noch bevor ich ein Wort der Entschuldigung hervorbringen konnte, packte mich Köster am Arm und schob mich vor sich her den Gang entlang in Richtung Büro. Ich weiß nicht mehr, was ich in diesem Moment dachte. Ich war überrumpelt, der Arm schmerzte von seinem festen Griff, die erstaunten Blicke der Gäste folgten mir den Gang hinunter. Köster öffnete die Bürotür und stieß mich mit beiden Armen in den Raum, sodass ich erst durch den Tisch gebremst wurde, auf dem der Drucker stand.
Köster hatte, seit ich unten war, kein Wort mehr gesagt. Jetzt baute er sich vor mir auf und schrie. Von einem erwachsenen Mann, der sich in dreißig Zentimeter Abstand vor einem aufpflanzt, aus voller Lunge angeschrien zu werden – ich weiß nicht, ob es Menschen gibt, denen das nichts ausmacht und die das mit einem Lachen wegstecken und sich freuen, selber ein entspannterer Charakter zu sein. Mich hatte in meinem ganzen Leben noch niemand so angeschrien, nicht einmal meine Mutter, als
ich ihr mit vierzehn zum fünfundsiebzigsten Mal erklären wollte, warum es zu viel Make-up einfach nicht gibt, sondern jeder angebliche Kajal-Exzess noch problemlos steigerbar ist. Köster fuchtelte mit dem Haustelefon herum, ich saß fast auf dem Drucker, ein weiteres Zurückweichen war unmöglich.
»Welche Zimmer sind fertig? Los, sag schon!«
Köster hatte mich wieder am Arm gepackt und schüttelte die Zimmernummern förmlich aus mir heraus. Dann ließ er mich stehen und stampfte zur Rezeption zurück. Das alte Gästetaschentuch kam mir gerade recht, um mir über das Gesicht zu wischen.
Was dürfen wir sonst noch für Sie tun?
Fünfundsechzig – das war in etwa das durchschnittliche Alter derjenigen, die Sara und mir gerne zuzwinkerten und sich erkundigten, ob wir denn nicht nach Feierabend noch mit auf ein Bierchen kommen wollten. Wir amüsierten uns über die Rentner und ihre unbeholfenen Flirtversuche, die wir mit einem »Nein, danke« oder schlimmstenfalls dem reichlich angestaubten Hinweis »Ich bin in festen Händen« abwehren konnten. Es blieb ein Spielchen, und ich fand es eher belustigend als unangenehm, der übergewichtigen Grauhaarfraktion regelmäßig einen Korb geben zu müssen. Ich gönnte ihnen den kleinen Spaß weit weg von ihren Ehefrauen. Ich wusste ja: Die habe ich im Griff.
Ich befand mich in der vierten Phase meiner Ausbildung, nach Frühstück, Terrasse und Housekeeping sollte ich jetzt die anderen Stationen kennenlernen, die auch Bestandteil der Ausbildung waren, also Rezeption, Sales und Marketing.
Offiziell war ich häufig an der Rezeption eingeteilt, was aber nicht hieß, dass ich nur mit dem Check-in der Gäste beschäftigt war – auch jetzt verbrachte ich genauso viel Zeit im Service. Wir waren als Servicekräfte beim
Frühstück oder Mittagessen eindeutig begehrter denn als Mitarbeiter der Verwaltung. An der Rezeption residierte zudem für gewöhnlich eine Festangestellte, die uns Azubis nur zu gerne wieder an Dana oder Frau Bock auslieh. So kam es, dass ich den Rezeptionsjob nur sporadisch ausübte, und trotzdem lernte ich hier eine Seite des Menschen kennen, die ich niemals hätte kennenlernen wollen.
Besonders der Check-out erwies sich als heikel.
»Hatten Sie etwas aus der Minibar?«
»Nein.«
»Da ist aber ein Posten. Haben Sie nicht vielleicht doch …«
»Nein, auf keinen Fall!«
»Die Hausdame hat hier aber drei Flaschen Bier notiert.«
»Das kann nicht sein, unmöglich.«
In diesem Moment der Konversation wusste ich, dass der Gast weiß, dass ich weiß, dass er lügt, und dass ihm das egal ist, weil er auch weiß, dass ich nichts machen kann, außer zu sagen:
»Gut, dann nehme ich das natürlich von der Rechnung.«
Die Anzahl derer, die wirklich angaben, was sie verzehrt hatten, war verschwindend gering. Das Klauen aus der Minibar war Volkssport. Menschen, die es nie gewagt hätten, im Supermarkt eine Plastiktüte mitzunehmen, ohne brav die zehn Cent zu
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