Total Control (Das Labyrinth)
Kindertagesstätte, übergab. Die Vorderseite von Karens weißem Overall war bereits m it roter Malkreide vollgesch m iert; am rechten Är m el prangte ein großer Fleck, der nach Grapefruit m ar m elade aussah.
»Hallo, A m y. W i r haben ein paar neue Spielsachen hier, die du besti mm t ausprobieren m öchtest.« Karen kniete sich vor dem kleinen Mädchen hin. I mm er noch u m kla mm erte A m y den Teddy m it festem Griff. Den rechten Dau m en behielt sie hartnäckig im Mund.
Sidney hielt A m ys Tasche hoch. »Bohnen und W ürstchen, Saft und eine Banane. Frühstück hat sie bereits gegessen. Zum Knabbern Kartoffelchips, und wenn sie ganz brav ist, beko mm t sie einen Schokoriegel. Und gönnen Sie ihr zu Mittag ein etwas längeres Nickerchen, Karen, sie hat heute nacht schlecht geschlafen.«
Karen streckte A m y einen F i nger hin. »In Ordnung, Mrs. Archer. A m y ist doch i mm er brav. Nicht wahr, A m y ? «
Sidney kniete sich nieder und hauchte ihrer Tochter einen flüchtigen Kuß auf die W ange. »Da haben Sie recht. Außer wenn sie nicht essen, schla f en oder das tun will, was m an ihr sagt.«
Karen hatte einen kleinen Jungen im selben Alter wie A m y. Die beiden Mütter tauschten ein wissendes Lächeln.
»Ich bin heute abend um halb acht hier, Karen.«
»In Ordnung, Mrs. Archer.«
»Tschüs, Ma m i . Hab’ dich lieb.«
Sidney wandte sich um und sah, daß A m y ihr zuwinkte. Die kleinen Finger schwebten auf und nieder. Der trotzige Gesichtsausdruck hatte sich in entzückende, unschuldige Traurigkeit verwandelt, bei deren Anblick Sidneys W ut über die m orgendliche Auseinandersetzung rasch verflog. Sidney winkte zurück.
»Ich hab’ dich auch lieb. Heute abend nach dem Essen gönnen wir uns ein Eis, m ein Schat z . Und ich bin sicher, Papa wird anrufen und m it dir reden wollen.« Ein wundersüßes Lächeln huschte über A m ys Gesicht.
Dreißig Minuten später stellte Sidney den W agen im Parkhaus der Kanzlei ab, ergriff den Aktenkoffer vom Beifahrersitz, warf die Autotür zu und rannte zum Fahrstuhl. Der eisige W i nd, der durch die Einfahrt in die Tiefgarage herunterblies, hob ihre Sti mm ung. Bald würden sie den alten Steinka m i n im W ohnzi mm er in Betrieb neh m en. Sie hatte den Geruch eines o ff enen Feuers lieben gelernt, denn er ver m ittelte Ge m ütlichkeit und ein Gefühl von Geborgenheit. Der bevorstehende W i nter ließ sie an W eihnachten denken. Zum ersten m al würde A m y die Besonderheit dieser Zeit richtig begreifen. Das Herannahen der Feiertage er f üllte Sidney m it prickelnder Vor f reude. Zum Thanksgiving beabsichtigten sie, ihre Eltern zu besuchen; W eihnachten hingegen wollten Jason, Sidney und A m y dieses Jahr zu Hause verbringen, ganz unter sich, vor einem knisternden Ka m i nfeuer, einem riesigen W eihnachtsbaum und einem Berg von Geschenken für das kleine Mädchen.
Obwohl sie geglaubt hatte, schon wieder furchtbar spät dran zu sein, war es erst sieben Uhr fünfunddreißig, als sie aus dem Fahrstuhl trat.
Zwar arbeitete Sidney offiziell nur drei Tage in der W oche, dennoch zählte sie zu den am härtesten schuftenden Anwälten der Fir m a. Die langjährigen Par t ner von Tyler, Stone lächelten jedes m al, wenn sie an Sidney Archers Büro vorbeika m en und sahen, wie durch die Anstrengungen der jungen Frau ihr Stück vom Kuchen größer und größer wur d e. Einige glaubten wahrscheinlich, Sidney auszunützen, doch sie hatte ihre eigenen Pläne. Die Teilzeitbeschäftigung betrachtete sie lediglich als vorübergehende Lösung. Als Anwältin konnte sie noch ein Leben lang arbeiten; die Gelegenheit, Mutter zu sein, hatte sie nur, solange A m y noch ein kleines Mädchen war.
Das alte Ziegelsteinhaus hatten sie etwa zum halben W ert erstanden, da es sich als stark renovierungsbedürftig erwies. Die erforderlichen Arbeiten hatten Sidney und Jason m it Unterstützung einer Reihe von Handwerkern unter harten Preisverhandlungen in den letzten beiden Jahren durchgeführt. Den Jaguar hatten sie gegen den klapprigen, sechs Jahre alten Ford eingetauscht. Die letzten Studiendarlehen waren nahezu abbezahlt, und die m onatlichen Lebenshaltungskosten hatten sie durch sparsa m es W i rtschaften und einige Opfer auf nahezu die Hälfte reduzieren können. In einem Jahr würden die Archers fast völlig schuldenfrei sein.
Ihre Gedanken wanderten zurück zu jenen frühen Morgenstunden. Jasons Eröffnung hatte sie regelrecht verblüfft. Doch als sie sich die Konsequenzen durch den
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