Total Recall
wurde, wann Windeln gewechselt wurden. Dazwischen gab es Diskussionen, wie das Kinderzimmer tapeziert werden sollte. Schon bald engagierten wir ein Kindermädchen, und ich spürte, dass ich allmählich immer mehr beiseitegedrängt wurde. Über die Babypflege unterhielt sich Maria jetzt nur noch mit dem Kindermädchen. Zuerst achtete ich nicht weiter darauf, aber dann las ich eines Tages etwas über »Gatekeeping«. Ich dachte: »Ja, genau so ist es! Genau das passiert mir gerade! Ich werde ständig beiseitegedrängt von den Wächtern des einzig wahren Wissens, darf nichts tun, was nicht sofort kritisiert wird, und alle nörgeln ständig, dass ich das Baby nicht richtig halte.« Ich beschloss, mich einfach über diese Dinge hinwegzusetzen und die neue Situation endlich mehr zu genießen.
Den Bericht musste ich wohl in irgendeinem Magazin gefunden haben, vielleicht im Wartezimmer eines Arztes, denn normalerweise las ich nicht viel über Babypflege. Ich dachte mir nämlich, in der Steinzeit dürfte es auch nicht allzu viele Bücher oder Artikel darüber gegeben haben, und trotzdem wusste jeder Neandertaler, wie man Kinder großzog, also konnte man dabei doch wohl nicht allzu viel falsch machen, oder? Wenn man sein Kind liebt, findet man das alles selbst heraus, wie überhaupt bei allen Dingen, die man gern macht. Babypflege ist in unserem Gehirn schon eingespeichert.
Tatsächlich hatte ich viel Glück, denn Maria war eine absolut großartige Mutter, was man ja nicht immer vorhersagen kann. Trotz der Sache mit dem »Gatekeeping« bewunderte ich sie, wie gut sie mit der Situation fertigwurde. Ich musste mir wirklich keine Sorgen machen. Sie hatte die richtigen Instinkte, verfügte über das nötige Wissen und hatte genug Bücher gelesen. Außerdem verstand sie sich gut mit dem Kindermädchen. Es mangelte Katherine also an nichts, wie selbst mir klarwurde.
Trotzdem nahm ich mir vor, mich nicht noch einmal derart beiseitedrängen zu lassen. Und deshalb verteidigte ich beharrlich meine Stellung, als wir ein paar Jahre später, im Juli 1991, Christina bekamen. Natürlich stellte ich mich nicht hin und erklärte: »Nein, ich lasse mich jetzt nicht mehr aus dem Zimmer schicken!« Aber abends, wenn Maria Christina gestillt hatte und wir zu Bett gingen, nahm ich ihr Christina ab und legte sie auf meinen Brustkorb. Ich weiß nicht mehr, wer mir das geraten hatte, irgendwer hatte mir mal gesagt: »Ich lege mein Baby immer auf den Brustkorb.«
»Wie kannst du dann schlafen?«, fragte ich ihn.
»Weiß ich nicht. Irgendwie funktioniert es. Ich habe wirklich keine Ahnung. Vielleicht schlafe ich nicht so tief wie sonst, aber das ist okay, denn ich mache es für das Baby.«
Ich nahm mir vor: »Genau! Das werde ich auch so machen.« Ich entdeckte, dass ich mit Christina auf der Brust zwar einschlief, aber nicht so tief, dass ich mich umdrehen und sie womöglich unter mir erdrücken würde. Die Natur hat diese Sicherung irgendwie eingebaut. Ich lag da und schlief, und plötzlich hörte ich von ihr leise Geräusche oder spürte leichte Bewegungen. Und wenn ich dann einen Blick auf die Uhr warf, sah ich, dass schon wieder vier Stunden vergangen waren. Das war genau so, wie es uns die Schwester im Krankenhaus erklärt hatte: »Sie müssen sie alle vier oder fünf Stunden stillen.« Und dann gab ich Maria das Kind, sie stillte es, und ich nahm es ihr wieder ab, damit sie wieder ein paar Stunden lang schlafen konnte.
Und bei Christina hatte ich auch die Sache mit den Windeln besser im Griff. Ich fing gleich am Anfang damit an und erklärte den Frauen: »Hört zu, ihr Lieben, beim ersten Baby habe ich versagt, denn von hundert Windeln, die Maria gewechselt hat, bin ich vielleicht auf eine gekommen. Das war nicht okay. Nicht okay für das Baby, nicht okay für dich, nicht okay für mich. Dieses Mal will ich mich stärker beteiligen.« Und dann schloss ich die Tür oder starrte sie böse an, wenn sie in der Nähe herumhingen.
Und so mischte ich mich einfach ein. Nach ein, zwei Wochen hatte niemand mehr etwas dagegen, wenn ich nach oben ging und die Windeln wechselte, sobald wir das Baby schreien hörten, und keine Aufpasserin schlich hinter mir her.
»Das ist ein echter Durchbruch«, sagte ich mir. Ich kam mir vor wie im Himmel, wenn ich allein im Kinderzimmer stand und das kleine Mädchen anschaute und seine Windeln wechselte, ohne dass mir jemand ständig über die Schulter blickte. Christina beruhigte sich immer recht schnell und
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