Total Recall
sich die Schwulen trafen. Er war ein echter Gentleman und hätte sich uns nie aufgedrängt. Ich hatte gedacht, ich würde einen Schwulen auf den ersten Blick erkennen, aber Putziger wirkte ganz und gar nicht schwul. Er sah aus wie ein gewöhnlicher Geschäftsmann.
Putziger holte mich auf der Straße ein, wo ich verwirrt herumstand und überlegte, wo ich hinsollte. Er entschuldigte sich und versprach, mich nicht mehr zu belästigen, wenn ich mit ihm zurückgehen würde. »Du bist mein Gast«, sagte er. Aber in der Wohnung machte er wieder Annäherungsversuche und sagte mir, er könne verstehen, dass ich Frauen vorziehen würde, aber er würde mir ein Auto kaufen und mir mit meiner Karriere helfen und so weiter, wenn ich ihm gefällig sei. Sicher hätte ich zu der Zeit einen Mentor brauchen können, aber nicht um diesen Preis. Ich war erleichtert, als ich am nächsten Morgen aus der Wohnung war.
Putziger hätte mich entlassen können, aber er brauchte einen Star für sein Fitnessstudio. Bodybuilding war damals noch so unbekannt, dass es in München nur zwei Studios gab, und das größere gehörte Reinhard Smolana, der 1960 zum ersten Mister Germany gekürt worden war und 1963 den Titel des Mister Europa errungen hatte. Außerdem war er Dritter in der Ausscheidung um den Mister Universum geworden und damit der bekannteste deutsche Bodybuilder und eine Autorität in der Branche. Sein Studio war besser ausgestattet und moderner als das von Putziger. Die Kunden gingen lieber zu Smolana. Ich hatte nun die Aufgabe, als neuer Bodybuilding-Star Putziger konkurrenzfähig zu machen. Albert Busek, der Herausgeber der Kraftsport Revue und derjenige, der mich für die Stelle bei Putziger vorgeschlagen hatte, war zum Glück ebenso ehrenhaft, wie Putziger schmierig war. Als ich ihm die Geschichte erzählte, war er entsetzt und half mir, einen Lagerraum im Fitnessstudio als Schlafstätte für mich herzurichten. Ich wusste nicht, wo ich sonst unterkommen sollte. Er und ich wurden schnell gute Freunde. Albert war jemand, der beim europäischen Bildungssystem durchs Raster gefallen war – er war viel klüger, als die meisten Leute dachten, und wäre Arzt, Naturwissenschaftler oder Akademiker geworden, wenn ihm zur richtigen Zeit jemand gesagt hätte, er solle studieren. Stattdessen landete er auf der technischen Hochschule. Irgendwann entdeckte er den Kraftsport und erkannte, dass er Talent fürs Schreiben und Fotografieren hatte. Er fragte Putziger, ob er für seine Zeitschrift arbeiten könne. »Warum nicht? Geben Sie mir einen Artikel zu lesen. Schreiben Sie irgendwas«, war Putzigers Antwort. Nachdem Albert und seine Frau Zwillinge bekommen hatten und ihm die staatliche Förderung fürs Studium gekürzt worden war, arbeitete er schließlich in Vollzeit für Putzigers Magazin. Schon bald leitete Albert die Zeitschrift und galt als anerkannter Experte für Bodybuilding. Er war überzeugt, dass ich der nächste große Bodybuilder werden würde, und weil er wollte, dass ich Erfolg hatte, fungierte er bereitwillig als Puffer zwischen Putziger und mir.
Abgesehen von den Problemen mit dem Inhaber war der Job im Fitnessstudio ideal für mich. Putziger besaß nicht nur ein Fitnessstudio und ein Bodybuilding-Magazin, sondern auch einen Versandhandel für Nahrungsergänzungsmittel. Das Studio hatte mehrere Räume und nicht nur einen einzigen großen Saal. Es gab Fenster und entsprechend Tageslicht anstelle der feuchten Betonmauern, zwischen denen ich in den Katakomben des Grazer Stadions trainiert hatte. Die Ausstattung war moderner als alles, womit ich bisher zu tun gehabt hatte – neben Hanteln gab es zahlreiche Geräte für die Schulter-, Rücken- und Beinmuskulatur. Dadurch hatte ich die Möglichkeit, gezielt einzelne Muskeln zu trainieren und zu definieren und meinen Körper auf eine Art und Weise zu formen, wie es allein mit freien Gewichten nie möglich gewesen wäre.
Beim Militär hatte ich festgestellt, dass ich anderen sehr gern beim Training half, daher fiel mir dieser Teil meines Jobs leicht. Über den Tag verteilt unterrichtete ich kleine Gruppen und gab einer wilden Mischung unterschiedlichster Kunden Einzelstunden – Polizisten, Bauarbeitern, Geschäftsmännern, Intellektuellen, Athleten und Stars der Unterhaltungsbranche, Deutschen und Ausländern, Jungen und Alten, Schwulen und Heteros. Ich lud amerikanische Soldaten vom nahegelegenen Stützpunkt ein, bei Putziger zu trainieren – dabei traf ich auch zum ersten Mal
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