Total Recall
doch er war sehr klug und fleißig. Er wurde Maurer und Amateurboxer und ging nach Deutschland, um dort auf Baustellen zu arbeiten. In München lernte er Deutsch und kannte sich bald so gut in der Stadt aus, dass er eine Lizenz als Taxifahrer bekam. Die Prüfung für Taxifahrer war in München selbst für die Einheimischen schwer, und dass ein Italiener sie bestand, versetzte alle in Erstaunen.
Franco war Kraftdreikämpfer, und ich war Bodybuilder, und uns beiden war klar, dass sich die Sportarten sehr gut ergänzten. Ich wollte mehr Masse, was bedeutete, dass ich mit schweren Gewichten arbeiten musste – und damit kannte sich Franco aus. Ich wiederum wusste viel über Bodybuilding – wofür sich Franco brennend interessierte. Er sagte mir: »Ich möchte Mister Universum werden.« Andere lachten ihn deswegen aus, denn er war nur 1,65 Meter groß, aber beim Bodybuilding sind Perfektion und Symmetrie oft wichtiger als Größe. Mir gefiel die Idee, zusammen zu trainieren.
Franco begriff schnell – vielleicht, weil er viel Zeit allein in der Wildnis verbracht hatte. Er war begeistert von meiner Idee, die Muskeln zu »schocken«. Ich hatte immer das Gefühl, das größte Hindernis bei einem erfolgreichen Training bestehe darin, dass sich der Körper so schnell anpasst. Wenn man jeden Tag die gleiche Bewegungsfolge trainiert, wachsen die entsprechenden Muskeln langsam und hören irgendwann damit auf, selbst wenn man stetig das Gewicht erhöht – Muskeln sind sehr effektiv und führen genau die erwartete Bewegung aus. Wenn man nun den Muskel »aufwecken« und zu weiterem Wachstum veranlassen will, muss man ihn mit der Botschaft überraschen: »Du weißt nie, was kommt. Es wird immer etwas anderes sein als erwartet. Heute ist es das, morgen etwas ganz anderes.« An einem Tag sind es ultraschwere Gewichte, am anderen zahlreiche Wiederholungen.
Eine von uns entwickelte Methode, die Muskeln zu schocken, war das sogenannte »Stripping«. Beim normalen Training mit Gewichten startet man mit geringeren Gewichten und arbeitet sich dann nach oben. Beim Stripping ist es genau umgekehrt. Für London musste ich beispielsweise meine Deltamuskeln aufbauen. Das erreicht man mit Kurzhantel-Schulterdrücken, das heißt, man hält die Kurzhantel in jeder Hand auf Schulterhöhe und führt sie dann nach oben über den Kopf. Beim Stripping begann ich mit dem schwersten Gewicht, sechs Wiederholungen mit 45 Kilo schweren Kurzhanteln. Danach kamen 40 Kilo, ebenfalls mit sechs Wiederholungen. Und so ging es weiter das ganze Regal durch. Wenn ich bei 20 Kilo angekommen war, brannten meine Schultern, und die sechs Wiederholungen fühlten sich an, als ob jeder Arm nicht 20, sondern 55 Kilo heben würde. Doch bevor ich die Hanteln ganz weglegte, schockte ich meine Deltamuskeln noch einmal mit Seitheben, das heißt, ich führte die jeweils 20 Kilo schweren Kurzhanteln von der Hüfte aus auf Schulterhöhe. Danach liefen die Deltamuskeln dermaßen Amok, dass ich nicht wusste, was ich mit meinen Händen machen sollte. Es war eine Qual, die Arme einfach hängen zu lassen, ich konnte sie aber auch nicht mehr heben. Also legte ich sie auf dem Tisch oder einer Bank ab, bis der Schmerz nachließ. Die Deltamuskeln wehrten sich gegen die unerwartete Belastungsabfolge. Ich hatte ihnen gezeigt, wer der Chef war. Jetzt mussten sie nur noch ausheilen und wachsen.
Wenn ich den ganzen Tag hart trainiert hatte, wollte ich mich abends nur noch amüsieren. Und das hieß damals in München, in ein Bierlokal zu gehen, was wiederum bedeutete, dass man unweigerlich in eine Schlägerei verwickelt wurde. Man saß an langen Tischen, lachte, redete und stieß mit den Maßkrügen an. Und betrank sich natürlich. Ständig gab es Prügeleien, aber es war nie so, dass man den anderen umbringen wollte. Sobald die Schlägerei vorbei war, sagte der Gegner: »Komm, essen wir eine Bretzn. Möchtest ein Bier? Ich lad dich ein.« Und der andere sagte: »Ja, wenn ich schon verloren hab, kannst mir wenigstens ein Bier spendieren. Geld hab ich sowieso keins.« Und dann tranken die beiden einträchtig miteinander, als ob nichts gewesen wäre.
Bier sagte mir eigentlich nicht sonderlich zu, weil es nicht zum Training passte. Ich trank selten mehr als eins am Abend. Aber die Raufereien gefielen mir. Ich hatte den Eindruck, als ob ich jeden Tag neue Kräfte an mir entdecken würde, und fühlte mich groß und stark und unbesiegbar. Ich war nicht zimperlich. Wenn mich ein Kerl
Weitere Kostenlose Bücher