Total Recall
»Ach, ich habe von deinem kleinen Unfall gehört.« Und ich musste eine Woche lang Küchendienst schieben und zusammen mit anderen, die ebenfalls Mist gebaut hatten, vor aller Augen Kartoffeln schälen. Beim Essenholen konnte uns jeder sehen.
Im Frühjahr 1966 war ich zu der Ansicht gekommen, dass das Militär vielleicht doch nicht so ideal für mich war. Mein Sieg in Stuttgart brachte mir viel Aufmerksamkeit ein. Albert Busek, einer der Organisatoren des Wettkampfes und Mitbegründer der Fachzeitschrift Sportrevue , schrieb in einem Kommentar, im Bodybuilding werde bald die Ära Schwarzenegger anbrechen. Ich bekam mehrere Angebote, als professioneller Trainer zu arbeiten, unter anderem auch von Rolf Putziger, dem bekanntesten Promoter des Bodybuilding in Deutschland. Er bot mir eine Stelle als Leiter seines Fitnessstudios in München an, dem »Universum Sportstudio«. Das war eine große Versuchung. Ich hätte ausreichend Gelegenheit zum Training und bessere Chancen, bekannt zu werden. In Österreich wurde Bodybuilding nur als Ergänzung zum Gewichtheben betrachtet, während es in Deutschland bereits als eigenständige Sportart galt.
In der Welt der Bodybuilder hatte sich die Nachricht von meinem Sieg im Herbst des vergangenen Jahres in Windeseile herumgesprochen. Ich war auf dem Titel mehrer Magazine abgebildet, denn der Junge aus Österreich, der aus dem Nichts kam, ein Achtzehnjähriger mit einem Armumfang von achtundvierzig Zentimetern, gab eine gute Geschichte ab. Unter diesen Umständen erschien es mir sinnvoll, um meine vorzeitige Entlassung vom Militär zu bitten. Zusammen mit dem Gesuch reichte ich eine Kopie von Putzigers Jobangebot und einige Zeitschriftenartikel über mich ein. Meine Vorgesetzten kannten meine Ambitionen, eines Tages Champion im Bodybuilding zu werden, und ich hielt das Angebot aus München für einen wichtigen Schritt in diese Richtung. Ich wollte nicht lange warten. In Österreich dauerte die Wehrzeit eigentlich nur neun Monate, doch Panzerfahrer mussten sich aufgrund der teuren Ausbildung für drei Jahre verpflichten. Mir war zu Ohren gekommen, dass manche früher entlassen wurden, wenn es in der Familie einen Krankheitsfall gab oder sie daheim auf dem Bauernhof gebraucht wurden, aber ich hatte zugegebenermaßen noch nie davon gehört, dass jemand frühzeitig gehen durfte, weil er sich einen Traum verwirklichen wollte.
Eigentlich gefiel es mir ja ganz gut beim Militär. Tatsächlich war es das Beste, was mir passieren konnte. Die Zeit als Soldat hatte mir Selbstbewusstsein gegeben. Ich lebte unabhängig von meiner Familie und hatte festgestellt, dass ich allein gut zurechtkam. Ich lernte, mit Fremden Kameradschaft zu schließen und selbst ein guter Kamerad zu sein. Die Struktur und Disziplin schienen beim Militär einleuchtender als zu Hause. Wenn ich Befehle ausführte, hatte ich das Gefühl, etwas zu leisten.
In den neun Monaten beim Bundesheer hatte ich eine Menge gelernt, vom Wäschewaschen und Hemdenflicken bis zum Eierbraten auf dem Auspuffschutz eines Panzers. Ich hatte im Freien geschlafen, nächtelang Kasernen bewacht und festgestellt, dass man auch nach einer schlaflosen Nacht Höchstleistungen erbringen kann und nach einem Tag ohne Essen nicht gleich verhungert. Über so etwas hatte ich früher nie nachgedacht.
Ich wollte eines Tages eine Führungspersönlichkeit sein, wusste aber, dass man auch Gehorsam lernen muss. Was Churchill einmal von den Deutschen sagte – wenn man sie nicht zu Füßen hat, hat man sie an der Gurgel –, das galt auch beim österreichischen Bundesheer. Wenn sich bei jemandem das Ego regte, wurde er in die Schranken verwiesen. Mit achtzehn oder neunzehn Jahren ist man bereit, eine solche Lektion anzunehmen, mit dreißig ist es zu spät. Je mehr uns beim Militär abverlangt wurde, desto mehr dachte ich: »Mir soll’s recht sein. Bringen wir es einfach hinter uns.« Vor allem war ich stolz darauf, dass man mir mit achtzehn Jahren einen 50 Tonnen schweren Panzer anvertraute, auch wenn ich mit dieser Verantwortung nicht so gut umging, wie man es wohl von mir erwartet hätte.
Mein Gesuch um eine vorzeitige Entlassung blieb monatelang unbearbeitet. Bevor man sich darum kümmerte, erhielt meine Personalakte noch einen weiteren negativen Vermerk. Im späten Frühling waren wir auf einer zwölfstündigen nächtlichen Übung, die von sechs Uhr abends bis sechs Uhr morgens dauerte. Um zwei Uhr nachts hatte die Kompanie Position auf einem Bergrücken
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