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Total Recall

Total Recall

Titel: Total Recall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karlheinz Dürr (VS Mihr)
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und so weiter erzählt worden. Als sich der Zug der Stadt näherte, sah ich immer mehr Häuser, dann kamen große Gebäude und schließlich das Stadtzentrum. Eine Stimme in meinem Hinterkopf fragte: »Wie soll ich mich da zurechtfinden? Wie soll ich überleben?« Aber ich beruhigte mich mit meinem Mantra: »Das wird mein neues Zuhause.« Ich hatte Graz den Rücken gekehrt, ich war weg, und München würde meine neue Stadt werden, ganz gleich was passierte.
    München boomte, selbst gemessen an den Standards des deutschen Wirtschaftswunders, das damals, 1966, seinen Höhepunkt erreicht hatte. Eine internationale Stadt mit 1,2 Millionen Einwohnern, die gerade den Zuschlag für die Austragung der Olympischen Spiele 1972 und das Finale der Fußballweltmeisterschaft 1974 erhalten hatte. Die Olympischen Spiele in Deutschland sollten für den Wandel Deutschlands und seine Wiederaufnahme in die Staatengemeinschaft als modernes, demokratisches Land stehen. Überall waren Baukräne zu sehen. Am Olympiastadion wurde bereits gebaut, ebenso an neuen Hotels, Bürogebäuden und Wohnungen. In der ganzen Stadt wurden Tunnel für das neue U-Bahn-System gegraben, das das modernste und effizienteste der Welt werden sollte.
    Der Hauptbahnhof war der Dreh- und Angelpunkt dieser Betriebsamkeit. Auf den Baustellen wurden Arbeiter gebraucht, die nun aus allen Mittelmeerländern und dem Ostblock nach München strömten. In den Wartesälen und auf den Bahnsteigen hörte man mehr Spanisch, Italienisch, Serbokroatisch und Türkisch als Deutsch. In Bahnhofsnähe fand sich eine bunte Mischung aus Hotels, Nachtklubs, Läden, billigen Pensionen und Geschäftshäusern. Das Universum Sportstudio, in dem ich arbeiten sollte, lag in der Schillerstraße, nur fünf Minuten vom Bahnhof entfernt. Die Straße war gesäumt von Nachtklubs und Striplokalen, die bis vier Uhr morgens geöffnet waren. Und um fünf öffneten schon wieder die ersten Lokale, wo man Weißwürste und Bier zum Frühstück bekam. Man konnte immer irgendwo feiern. Kurz gesagt, München war eine Stadt, in der ein Neunzehnjähriger ziemlich aufpassen musste, dass er nicht unter die Räder kommt.
    Albert Busek hatte versprochen, dass mich ein paar Jungs am Bahnhof abholen würden. Tatsächlich, als ich den Bahnsteig entlangging, sah ich schon das grinsende Gesicht eines Bodybuilders namens Franz Dischinger. Franz war der Favorit beim Wettkampf um den Titel »Bestgebauter Juniorathlet« in Stuttgart gewesen, den Titel, den dann ich gewonnen hatte. Ein gutaussehender Deutscher und sogar ein Stück größer als ich, aber sein Körper war noch nicht voll entwickelt, weshalb die Richter wahrscheinlich mir den Vorzug gegeben hatten. Franz war ein fröhlicher Bursche, und wir hatten uns in Stuttgart auf Anhieb verstanden und viel miteinander gelacht. Falls ich einmal nach München kommen sollte, so vereinbarten wir damals, wollten wir gemeinsam trainieren. Jetzt holten wir uns am Bahnhof erst einmal etwas zu essen, und dann fuhren er und sein Kumpel, der ein Auto hatte, mich zur Wohnung von Rolf Putziger in einem Vorort von München.
    Ich hatte meinen neuen Chef noch nicht kennengelernt, war aber froh über sein Angebot, erst einmal bei ihm zu wohnen, denn ein eigenes Zimmer konnte ich mir nicht leisten. Putziger war ein dicklicher, ungesund wirkender älterer Mann im Anzug. Er war fast kahl und entblößte beim Lächeln unschöne Zähne. Er begrüßte mich freundlich und zeigte mir seine Wohnung. Es gab auch ein kleines Gästezimmer, das, wie er mir erklärte, meines sein würde, sobald das Bett geliefert worden sei, das er bestellt habe. Ob es mir etwas ausmachen würde, einstweilen auf der Couch im Wohnzimmer zu schlafen? Natürlich mache es mir nichts aus, antwortete ich.
    Ich dachte mir nichts dabei, bis Putziger ein paar Tage später abends nach Hause kam und nicht in sein Schlafzimmer ging, sondern sich neben mich auf die Couch legte. »Wäre es bei mir im Schlafzimmer nicht bequemer für dich?«, fragte er und rieb sein Bein an meinem. Ich sprang wie von der Tarantel gestochen von der Couch auf, schnappte meine Sachen und rannte aus der Wohnung. Mir schwirrte der Kopf. In was war ich da hineingeraten? Natürlich gab es unter Bodybuildern Schwule. In Graz hatte ich einen gekannt, der einen fantastischen Kraftraum bei sich zu Hause hatte. Meine Freunde und ich trainierten manchmal bei ihm. Er ging sehr offen mit seiner sexuellen Neigung um und zeigte uns sogar den Bereich im Stadtpark, wo

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