Total Recall
doch an, was mit dem Staat los ist! Wir werden zur Lachnummer. Als ich hierherkam, war Kalifornien Spitze. Ich weiß, dass ich hingehen und die Dinge wieder ins Lot bringen könnte …«
»Meinst du das ernst?«
»Ja, das ist mein voller Ernst.«
»Ach komm, sag mir bitte, dass du einen Witz machst. Tu mir das nicht an.«
Ich antwortete zögernd: »Ich habe nur … Ich habe mich noch nicht zu irgendetwas verpflichtet. Ich denke nur darüber nach. Wenn du nein sagst, werde ich natürlich nicht antreten. Aber ich finde, die Gelegenheit ist günstig. Es ist ein Recall, das heißt nur zwei Monate Wahlkampf. Ich glaube, dass wir diese zwei Monate überstehen können. Und dann bin ich Gouverneur! Und, Maria, ich kann mir das vorstellen. Ich spüre es. Ich kann es wirklich schaffen!«
Beim Reden darüber übermannte mich die Begeisterung schon wieder. »Die Schauspielerei hängt mir zum Hals raus«, sagte ich. »Ich brauche eine neue Herausforderung. Ich möchte mal etwas anderes machen. Dies ist die Gelegenheit, sich in den Dienst der Öffentlichkeit zu stellen, wie dein Vater es immer verlangt. Und ich glaube, dass ich das viel besser könnte als Gray Davis.«
Ich redete immer weiter, bis meine Frau zu meiner Verblüffung plötzlich zu zittern und zu weinen anfing. Ich konnte es einfach nicht glauben. Wahrscheinlich hatte ich erwartet, dass sie wie Eunice reagieren und sagen würde: »Okay, wenn du das wirklich willst, sollten wir uns sofort hinsetzen und ein paar Dinge entscheiden. Lass uns Berater zusammentrommeln und mit den Besprechungen anfangen.« Das wäre der Kennedy-Stil gewesen. Ich wollte von ihr hören: »Die Kennedys haben also auf dich abgefärbt, und jetzt steigst du auch in die Politik ein. Bravo! Du hast wirklich eine erstaunliche Entwicklung durchgemacht, seit wir uns kennen. Und jetzt bist du bereit, auf Millionen Dollar zu verzichten und dich für das Gemeinwohl zu engagieren. Ich bin so stolz auf dich!«
Aber da hatte ich wohl geträumt.
»Warum weinst du?«, fragte ich. Und sie redete über die Qual, in einer Politikerfamilie aufzuwachsen. Ich wusste, dass Maria es hasste, zu irgendwelchen Veranstaltungen und öffentlichen Anlässen mitgeschleppt zu werden, bei allen Fototerminen als Staffage herumzustehen und dann am Sonntagabend das Haus voller Berater und Amtsträger zu haben, für die sie sich auch noch in Schale werfen musste. Sie hatte die Wahlkämpfe ihres Vaters gehasst, bei denen sie morgens um fünf Uhr an irgendeinem Fabriktor stehen und die Arbeiter mit »Wählt meinen Papa, wählt meinen Papa« begrüßen musste.
Dass sie als Kind ein regelrechtes Trauma erlitten hatte, war mir allerdings bisher verborgen geblieben. Wir waren sechsundzwanzig Jahre zusammen, davon siebzehn verheiratet, und es traf mich wie ein Schock, jetzt feststellen zu müssen, dass ihre Kindheit als eine Kennedy sie bis ins Mark erschüttert hatte. Zugegeben, ihr Vater war im Kampf um die Vizepräsidentschaft und die Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten gescheitert. Ich hatte das abgebucht unter Erfahrungen, die einen nur stärker machen. Dass ihr diese öffentliche Niederlage peinlich war, konnte ich nicht nachvollziehen. In der Politik wissen alle über alles Bescheid. Man führt ein öffentliches Leben. In der Schule war Maria ständig Gesprächsthema. Sie hatte darunter gelitten, nicht nur unter den zwei verlorenen Wahlkampagnen ihres Vaters, sondern auch unter dem tragischen Tod ihrer Onkel John F. Kennedy und Robert Kennedy und dem Drama um den Autounfall ihres Onkels Teddy auf Chappaquiddick. Immer gab es schreckliche Geschichten in der Presse und dementsprechend Spötteleien in der Schule, auf dem Sportplatz und überall, wo sie auftauchte. Kinder stellten grausame Fragen: »Dein Dad hat verloren. Wie fühlt es sich an, ein Verlierer zu sein?« Es war jedes Mal wie ein Schlag in die Magengrube. Und jetzt saß ich hier im Whirlpool und erklärte ihr, dass ich Gouverneur werden wollte. Es war für sie wie bei einem Unfall, wenn das ganze Leben noch einmal an einem vorüberzieht. Alle früheren Verunsicherungen und Ängste schwappten wieder über sie hinweg, und deshalb zitterte und weinte sie.
Ich nahm sie in den Arm und versuchte sie zu beruhigen. Alle möglichen Gedanken schossen mir durch den Kopf. Zunächst einmal ein totaler Schock, als ich ihre Qualen sah. Ich wusste, dass sie eine Menge durchgemacht hatte, aber ich dachte, sie habe das gut verarbeitet. Als ich Maria kennenlernte, war
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