Total Recall
an deine Niederlage erinnern.«
Zum ersten Mal war ein Mann so fürsorglich zu mir. Ich wusste, dass Frauen fürsorglich sind – meine Mutter war fürsorglich, andere Frauen auch. Aber dass ein anderer Mann mir sein echtes Mitgefühl zeigte, war geradezu überwältigend für mich. Bis dahin hatte ich gedacht, dass nur Mädchen weinen, aber in der Nacht weinte ich stundenlang im Dunkeln. Es tat mir gut. Als ich am nächsten Morgen aufwachte, fühlte ich mich deutlich besser. Die Sonne schien ins Zimmer, und das Telefon neben meinem Bett klingelte.
»Arnold!«, sagte eine Reibeisenstimme. »Hier spricht Joe Weider. Ich bin draußen am Pool. Wie wäre es, wenn Sie runterkommen und mit mir frühstücken würden? Ich würde gern ein Interview für meine Zeitschrift mit Ihnen machen. Eine Titelgeschichte über Sie, wie Sie genau trainieren und so weiter …«
Als ich nach unten kam, saß Joe Weider bereits neben dem Pool in Badehose an einem Tisch, samt Schreibmaschine. Ich konnte es kaum fassen. Ich war mit seinen Magazinen aufgewachsen. Weider hatte sich darin immer als Trainer der Champions dargestellt, der alle Trainingsmethoden erfunden und das Bodybuilding erst ermöglicht hatte. Alle Großen des Sports waren seine Geschöpfe. Ich verehrte ihn, und jetzt saß ich mit ihm in Miami am Pool. Plötzlich fühlte ich mich wieder wichtig.
Joe war Mitte vierzig, glatt rasiert mit Koteletten und dunklem Haar. Er war nicht sonderlich groß, aber kräftig. Aus den Zeitschriften wusste ich, dass er jeden Tag trainierte. Seine Stimme war unverkennbar – rau und laut, außerdem sprach er die Vokale ganz anders aus, das fiel selbst mir auf. Später erfuhr ich, dass er Kanadier war.
Er wollte alles über meine Trainingsmethoden wissen. Wir redeten stundenlang. Obwohl das Gespräch aufgrund meiner geringen Englischkenntnisse etwas mühsam war, hatte er den Eindruck, dass ich interessantere Geschichten zu bieten hatte als die meisten anderen Bodybuilder. Ich erzählte ihm von unserer »Gladiatorenzeit« und dem Training im Wald. Das gefiel ihm gut. Bei den Trainingstechniken, die ich entwickelt hatte, fragte er genau nach. Er wollte alles über die »Split-Methode« wissen, bei der man zwei- oder dreimal am Tag trainiert, und über die Tricks, die Franco und ich entwickelt hatten, um die Muskeln zu »schocken«. Ich selbst musste mich immer wieder kneifen und dachte: »Wenn das meine Freunde in München und Graz sehen könnten! Ich sitze hier mit Joe Weider zusammen, dem Herausgeber von Muscle & Fitness , Flex und Strength , und er fragt mich, wie ich trainiere.«
In der Zwischenzeit hatte er eine Entscheidung getroffen. »Gehen Sie nicht zurück nach Europa«, sagte er. »Sie müssen hierbleiben.« Er bot mir an, die Reise nach Kalifornien zu bezahlen, mir eine Wohnung und einen Wagen zu besorgen und ein ganzes Jahr lang für meinen Unterhalt aufzukommen, damit ich mich ausschließlich aufs Training konzentrieren konnte. Wenn es dann im Herbst wieder an die Wettkämpfe ging, hätte ich eine weitere Chance. Seine Magazine würden über mein Training berichten, und er würde Übersetzer engagieren, damit ich meine Programme und Ideen zu Papier bringen könnte.
Joe hatte jede Menge Vorschläge, was ich tun müsste, um an die Spitze zu gelangen. Er sagte mir, dass ich mich auf die falschen Dinge konzentriert hätte – selbst für einen großen Mann seien Kraft und Masse nicht genug. Ich müsste beim Training stärker auf die Definition der Muskeln achten, das sei das Wichtigste. Einige Körperpartien bei mir seien fantastisch, aber bei den Rücken-, Bauch- und Beinmuskeln liege noch einiges im Argen. Und an meinem Posing müsste ich auch noch arbeiten. Trainingspläne waren natürlich Joe Weiders Spezialität, er konnte es kaum erwarten, mich zu trainieren. »Sie werden der Größte sein«, versprach er mir. »Warten Sie’s ab.«
Am Nachmittag im Fitnessstudio dachte ich noch einmal über meine Niederlage gegen Frank Zane nach. Ich hörte auf, mich selbst zu bemitleiden, und ging hart mit mir ins Gericht. Ich war immer noch der Meinung, dass die Entscheidung der Kampfrichter ungerecht war, stellte aber fest, dass das nicht der eigentliche Auslöser für meine Niedergeschlagenheit war. Ich hatte versagt – nicht mein Körper –, aber ich hatte mich im Hinblick auf meine Verfassung und Energie gewaltig verschätzt. Als ich 1966 in London gegen Chet Yorton verloren hatte, war die Niederlage nicht schlimm, weil ich das
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