Total Recall
»Weider Research Clinic«, sagte ich mir, »das ist ja unglaublich!« Außerdem waren Bilder von Flugzeugen zu sehen, auf denen in großen Buchstaben »Weider« stand – das musste ja ein riesiges Unternehmen sein, so groß wie General Motors, wenn Flugzeuge rund um die Welt unterwegs waren und Weiders Geräte und Nahrungsergänzungsmittel auslieferten! Auch der Inhalt der Artikel, die die Freunde für mich übersetzten, klang fantastisch. Darin war die Rede davon, wie man die »Muskeln sprengte«, wie man »Deltamuskeln, groß wie Kanonenkugeln«, oder einen »Brustkorb wie eine Festung« aufbaute.
Und da war ich nun, sechs Jahre später, am Venice Beach! Wie David Draper, aber jetzt posierte ich mit Surfbrett, Strandbuggy und Mädchen, die mich anschmachteten. Natürlich war mir zu dem Zeitpunkt klar, dass Weider eine Fantasiewelt erschuf, die zwar eine Grundlage in der Realität hatte, der Rest aber war reine Publicity. Sicher gab es Surfbretter, aber eigentlich surften Bodybuilder nicht. Auch schöne Mädchen waren da, aber es handelte sich um bezahlte Fotomodelle, die für die Aufnahmen gebucht wurden. (Eine von ihnen war Joes Frau Betty, ein wunderschönes Model, das er nicht bezahlen musste.) Und natürlich gab es die Nahrungsergänzungsmittel von Weider und irgendwo auch ein Forschungslabor, aber in Los Angeles stand kein großes Gebäude, das Weider Clinic hieß. Weiders Produkte wurden in alle Welt exportiert, aber er hatte keine eigenen Flugzeuge. Doch es störte mich nicht, als ich entdeckte, dass vieles einfach nur schöner Schein war. Mir genügte das, was tatsächlich da war.
Ich war begeistert, dass ich dazugehörte, und konnte kaum erwarten, was als Nächstes passieren würde. »Ich muss mich kneifen«, dachte ich immer wieder. »Das ist zu schön um wahr sein.« Ein Gefühl, das mich seither ständig begleitete.
Joe war kein einfacher Mensch. Er war einem nicht auf Anhieb sympathisch. Er war während der Weltwirtschaftskrise groß geworden und hatte sich zusammen mit seinem Bruder aus den Slums von Montreal nach oben gearbeitet und aus dem Nichts ein Unternehmen aufgebaut. Als ich in die USA kam, konnten nur ein paar Veranstalter und Fitnessstudiobesitzer vom Bodybuilding leben. Von den aktiven Bodybuildern schaffte das keiner, und ich war der Einzige, von dem ich je gehört hatte, der dafür bezahlt wurde, dass er trainierte. Weider hatte mit seinen Zeitschriften, Geräten, Nahrungsergänzungsmitteln und Veranstaltungen tatsächlich ein kleines Imperium aufgebaut, das 20 Millionen Dollar im Jahr erwirtschaftete. Joe und Ben waren stets auf Expansionskurs und schreckten auch nicht davor zurück, in die Domäne anderer einzudringen. 1946 gründeten sie ihren eigenen Verband, die International Federation of Body Building (IFBB), als Konkurrenz zur American Athletic Union (AAU), die bis dahin das olympische Gewichtheben und die Bodybuilding-Szene in Nordamerika bestimmt hatte, und zur britischen National Amateur Body-Builders’ Association (NABBA). Fortan richteten sie ihre eigenen Wettkämpfe aus, vergaben den Titel des Mister America, der eigentlich der AAU gehörte, und den des Mister Universum, den eigentlich die NABBA verlieh. Wie beim Boxen sorgte die Vervielfachung der Titel für einige Verwirrung, trug aber auch zur weiteren Verbreitung des Bodybuilding bei.
Joe war außerdem der Erste, der einen Geldpreis für den Sieg in einem Bodybuilding-Wettkampf ausschrieb. Bei den anderen Wettbewerben, etwa beim europäischen Mister Universum, bekam man nur einen Pokal. Weider machte im Bodybuilding immer das beste Angebot. Er bezahlte einem Bodybuilder das Hotel und das Flugticket. Allerdings behielt er das Ticket für den Rückflug immer so lange, bis der Bodybuilder nach dem Wettkampf für seine Fotografen posiert hatte.
Eigentlich hätte Joe die Bodybuilder lieber vor dem Wettkampf fotografiert, aber dazu war niemand außer Franco und mir bereit. Wir hatten nichts dagegen, weil wir dadurch gezwungen waren, uns schon vor dem Wettkampf in Bestform zu präsentieren, außerdem konnten wir dabei unsere Posen üben. Als Joe 1965 den Titel des Mister Olympia erfand, gab es 1000 Dollar Preisgeld und einen gravierten Silberteller. Der Mister-Olympia-Wettkampf war ein Geniestreich in Sachen Werbung. Joe wollte einen Champion der Champions küren – teilnehmen konnte nur, wer eingeladen wurde und schon einmal den Titel des Mister Universum gewonnen hatte oder ihn gerade führte. Damit schlug Joe
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