Total Recall
die Grundlage für Das Große Bodybuilding-Buch , das ich 1985 veröffentlichte.)
Unsere wichtigste Erkenntnis war wohl, dass man nicht einfach das Trainingsprogramm eines anderen übernehmen kann, weil jeder Körper anders ist. Die Proportionen und Gliedmaßen sind bei jedem Menschen ebenso unterschiedlich wie die körperlichen Vorzüge und Nachteile, die man geerbt hat. Man kann sich bei einem anderen Sportler Ideen holen, muss aber wissen, dass der eigene Körper womöglich ganz anders darauf reagiert.
Durch das Herumexperimentieren fanden wir Mittel und Wege, unsere individuellen Schwachpunkte auszumerzen. Franco beispielsweise hatte O-Beine, und wir überlegten uns, seine Oberschenkelinnenseiten zu stärken, indem er bei den Kniebeugen einen breiteren Stand wählte. Dann entwickelten wir Techniken für den Aufbau der Wadeninnenseite. Selbstverständlich würden die Kampfrichter nie denken, dass seine Beine vollkommen gerade seien. Aber man konnte sie damit beeindrucken, dass er etwas gegen das Problem unternommen hatte.
Für den ultimativen Showdown mit Sergio Oliva war ich entschlossen, mein Posing deutlich zu verbessern. Franco und ich trainierten den Ablauf wochenlang. Um zu gewinnen, muss man jede Pose minutenlang halten können. Die meisten Bodybuilder können den Bauch einziehen und eine Vakuumpose zeigen, diese dann aber oft nicht halten, weil sie sich entweder hinter der Bühne zu sehr aufgepumpt haben oder weil sie von den vorherigen Posen außer Atem sind. Oder sie müssen die Pose abbrechen, weil sie Krämpfe bekommen oder anfangen zu zittern. Also hielt einer von uns beiden eine Pose mehrere Minuten lang, während ihn der andere korrigierte. Ich zeigte beispielsweise eine Bizepspose, und Franco sagte dazu: »Dein Arm zittert. Hör auf zu zittern.« Also achtete ich darauf, dass mein Arm nicht zitterte. Dann sagte er: »Okay, lächeln«, oder: »Dreh dich leicht in der Taille«, und dann: »Okay, und jetzt die Dreiviertelrückenpose. Ah, du hast einen Schritt zusätzlich gemacht. Nicht gut. Noch einmal.«
Man muss die einzelnen Posen und die Übergänge sorgfältig einstudieren, weil ein zusätzlicher Schritt letztendlich zum Punktabzug führen kann. Die Richter denken sonst: »Wie unprofessionell. Er kann nicht einmal eine Pose halten. Er hat die einfachsten Sachen nicht drauf.«
Bei einem Wettkampf auf dem Niveau von Mister Olympia geht es nicht unbedingt darum, was in der Mitte einer Pose passiert. Die Richter setzen voraus, dass man die Standardposen beherrscht. Entscheidend ist vielmehr, was zwischen der einen und der nächsten Pose geschieht. Wie bewegen sich die Hände? Wie sieht das Gesicht aus? Wie ist die Haltung? Der Rücken muss gerade sein, der Kopf erhoben. Nie, wirklich nie, darf man einen Extraschnitt machen. Wenn man von einer Pose zur nächsten wechselt, muss man sich vorstellen, man wäre ein Tiger, der sich langsam und geschmeidig bewegt. Die Bewegungen müssen fließend ineinander übergehen. Und sie müssen gleichzeitig präzise sein. Aber es darf nie angestrengt wirken, denn das verrät Schwäche. Man muss seine Mimik völlig unter Kontrolle haben. Vielleicht hat man zu kämpfen und ist außer Atem, trotzdem muss man weiter durch die Nase atmen und den Mund ganz entspannt lassen. Am schlimmsten wäre ein auffälliges Nach-Luft-Schnappen oder Keuchen. Und wenn es an die nächste Pose geht, muss man zuversichtlich wirken und sich genauso präsentieren, wie es von einem erwartet wird.
Meine Vorbereitungen für das Duell mit Sergio gingen weit über das Fitnessstudio hinaus. Ich kaufte einen Filmprojektor, besorgte mir Filme über seine Auftritte bei Wettkämpfen und sah sie mir zu Hause immer wieder an. Sergio hatte wirklich einen beeindruckenden Körper, aber ich sah, dass er beim Posing seit Jahren das gleiche Programm zeigte. Mit diesem Wissen entwickelte ich meine Taktik für das abschließende freie Posen bei Mister Olympia. Ich lernte die Posen in der Reihenfolge auswendig, in der er sie zeigte, und bereitete für jede Pose von Sergio drei eigene vor. Ich übte sie wieder und wieder und ging den Ablauf genau im Kopf durch: »Wenn er das zeigt, mache ich das, das und das!« Ich wollte jede Pose Sergios übertreffen.
Im Spätsommer klingelte eines Tages im Gold’s Gym das Telefon, und der Manager rief vom Schreibtisch aus: »Arnold, da ruft ein Jim Lorimer an, der will dich sprechen!«
»Was will er denn?«
»Er will mit dir über den Mister-World-Wettkampf
Weitere Kostenlose Bücher