Total Recall
zwischen uns, mit dem ich nie gerechnet hätte.
Als wir uns beim Aufwärmen begegneten, grüßten wir uns nicht einmal richtig. Der Wettkampf war für alle Beteiligten unangenehm. Die Richter fühlten sich unbehaglich. Die Fans auch. Vor einem Wettkampf kommen normalerweise andere Bodybuilder und sagen einem: »Du siehst toll aus, du wirst gewinnen.« Aber viele mochten uns beide und wussten nun nicht, was sie sagen sollten, da der andere alles hören konnte.
Dabei ist es nun einmal Tatsache, dass ein Bodybuilder mit über vierzig Jahren nicht mehr so hart trainieren kann wie mit dreiundzwanzig. Ich war besser in Form als Reg, und zwar nicht nur aufgrund des Trainings, sondern allein schon aus Altersgründen. Seine Haut war nicht mehr so frisch, die Muskeln zeigten bereits leichte Abbauerscheinungen, während meine in voller Pracht standen. Ein paar Jahre früher wäre das vielleicht anders gewesen, aber jetzt war ich der König. Reg war ohne Zweifel gut, er schlug an dem Tag alle anderen Konkurrenten, darunter auch einen ehemaligen Mister Universum, der erst achtundzwanzig war. Aber er war nicht gut genug, um mich zu besiegen.
Es war ein gutes Gefühl, zu gewinnen, aber ich war auch ein wenig traurig. Ich war voll und ganz auf Sergio Oliva konzentriert. Ich musste nicht Reg Park schlagen, um meinen Traum Wirklichkeit werden zu lassen.
Am nächsten Tag stand wie versprochen der Jet von Volkswagen in New York für uns bereit. Privatflugzeuge waren damals viel ungewöhnlicher als heute, und für mich und die anderen Bodybuilder war der Flug verdammt aufregend. Wir hatten das Gefühl, endlich so fürstlich behandelt zu werden wie andere große Sportler. In Columbus angekommen, fuhren wir zum Veteran’s Memorial Auditorium, wo die anderen Bodybuilder schon beim Aufwärmen waren.
Sergio Oliva war auch dabei. Ich war geschockt. Er war der Überraschungsgast, niemand hatte von seiner Teilnahme gewusst. »Mist!«, dachte ich. Und er sah aus, als wäre er ebenfalls in Topform. Ich hatte erst in zwei Wochen mit einem Zusammentreffen gerechnet, nicht jetzt schon.
Ich brauchte ein paar Minuten, um das zu verdauen und zu begreifen, dass dies auch eine Chance war. Ich hatte zwar nicht gewusst, dass Sergio antrat, aber er hatte von mir gewusst. Er war nach Columbus gekommen, um mich zu überraschen, um mich noch vor New York zu schlagen, um dann beim Mister-Olympia-Wettkampf als eindeutiger Sieger zu triumphieren.
Doch was für ihn funktionierte, konnte auch für mich funktionieren. »Wenn ich ihn heute schlage«, überlegte ich, »ist New York für ihn gelaufen.«
Ich musste einfach einen höheren Gang einlegen. Wie bei einem superschnellen Sportwagen mit Turbolader – man drückt einen Knopf und bekommt zusätzliche 100 PS, wenn man sie braucht. Und diesen Knopf musste ich jetzt drücken.
Ich zog mich aus, ölte mich ein, begann mit dem Pumpen. Und dann holte man uns auch schon auf die Bühne.
Mister World war bei weitem die größte Bodybuilding-Veranstaltung, die ich bis dahin gesehen hatte: Fünftausend Zuschauer füllten die Halle, doppelt so viele wie bei den Meisterschaften in London oder New York. Außerdem gab es Scheinwerfer und Kameras, die Sportkommentatoren der Sendung ABC’s Wide World of Sports waren dabei – zum ersten Mal wurde ein Bodybuilding-Wettkampf fürs amerikanische Fernsehen aufgezeichnet.
Aber egal ob es fünftausend oder nur fünfhundert Zuschauer waren, ich wusste, wenn ich das Publikum mit meinem Charme und meinem Wesen für mich einnehmen würde, wäre ich im Vorteil, weil das auch die Kampfrichter beeinflussen würde. Sergio wandte dieselbe Taktik an, stolzierte über die Bühne, winkte seinen Fans und warf Kusshändchen. Er hatte viele Anhänger, von denen mehrere Dutzend nach Columbus gekommen waren. Die vier Hauptkonkurrenten waren ich, Sergio, Dave Draper und Dennis Tinerino. Wir kamen gleichzeitig auf die Bühne, wo die sieben internationalen Kampfrichter einen ersten Blick auf uns warfen. Der Moderator forderte jeden von uns auf, ein paar Lieblingsposen zu zeigen. Das Publikum klatschte und jubelte, weil wir alle gleichzeitig auftraten. Es war eine ungeheure Energie.
Verglichen mit allen anderen Bodybuildern, gegen die ich in meinem Leben angetreten bin, war Sergio wirklich eine Ausnahmeerscheinung. Ich spürte das sofort, als wir wieder gemeinsam auf der Bühne standen. Es war unglaublich schwer, neben ihm zu bestehen. Er hatte einfach außergewöhnliche Oberschenkel, eine
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