Total Recall
unglaublich schmale Taille und einen fantastischen Trizeps. Ich dachte, ich hätte vielleicht einen kleinen Vorteil bei den Richtern, weil ich gerade den Titel des Mister Universum gewonnen hatte. Oder aber Sergio war im Vorteil, weil sein Name im Gewichtheben bekannter war und die Richter größtenteils von dort kamen.
Um mich mental aufzubauen, suchte ich nach einem Vorteil für mich, so winzig er auch sein mochte. Jetzt im grellen Scheinwerferlicht wirkte Sergio ein bisschen weichlich. Das war ein Ansatz. Außerdem erkannte ich seine Posen tatsächlich im Voraus und machte dann einfach die gleiche Pose. Das Publikum war begeistert, ich sah, wie die Fernsehkameras von ihm zu mir und wieder zurückschwenkten. Als wir von der Bühne traten, hatte ich den Eindruck, dass die Runde an mich gegangen war. Danach lief es sogar noch besser. Sergio hatte sich hinter der Bühne zu großzügig eingeölt, das Öl lief beim Posing an ihm hinunter, wodurch seine Konturen weicher und nicht wie gemeißelt wirkten. Bei seiner Kür wechselte er ein bisschen zu schnell von einer Pose zur nächsten, sodass die Zuschauer die einzelnen Posen nicht auf sich wirken lassen konnten. Als ich an der Reihe war, nahm ich mir die Zeit, Kontakt zum Publikum aufzunehmen, das bei jeder Pose ein bisschen lauter jubelte und mich gar nicht mehr von der Bühne lassen wollte. Es war, als ob Sergio zum ersten Mal auf der Bühne und bei einem Wettkampf antreten würde, während ich völlig gelassen wirkte und mich offenkundig wohlfühlte.
Beim abschließenden Posedown gab ich alles. Egal welche Pose Sergio zur Demonstration seiner Kraft wählte, ich hatte die passende Antwort darauf. Vor allem aber war ich derjenige, der bereit war, aufs Ganze zu gehen. Ich war erfolgshungriger als Sergio. Ich wollte den Titel mehr als er.
Die Richter setzten mich einstimmig auf Platz eins. Das war nach diesem Wettkampf eigentlich keine große Überraschung, aber Sergio war schon so lange der Champion, dass die Entscheidung ein Schock für ihn war. Ich stand eine Minute lang da und sagte mir immer wieder: »Ich kann es nicht glauben. Ich kann es nicht glauben. Ich habe gerade Sergio geschlagen.« Als Preis gab es einen großen silbernen Pokal, eine moderne Quarzuhr und 500 Dollar in bar – außerdem jede Menge Publicitiy und Rückenwind für New York.
Als ich mit meinem Preis von der Bühne ging, tat ich zwei Dinge: Zuerst dankte ich Jim Lorimer. »Das war der am besten organisierte Wettkampf, an dem ich je teilgenommen habe«, sagte ich ihm. »Wenn ich mich einmal aus dem aktiven Bodybuilding zurückziehe, werde ich Sie anrufen, und Sie und ich werden Partner. Wir werden hier auf dieser Bühne den Wettbewerb um den Mister Olympia ausrichten. Wenn ich mit den Wettkämpfen aufgehört habe.« Jim lachte nur und sagte: »Gut, gut.« Wahrscheinlich hatte ich ihm gerade das seltsamste Kompliment gemacht, das er je bekommen hatte, vor allem von einem so jungen Menschen.
Danach bearbeitete ich noch ein bisschen Sergios Psyche. Wenn man den dreimaligen Mister Olympia entthronen will, darf man nichts dem Zufall überlassen. In New York würden die Richter wahrscheinlich ihn zum Sieger küren. Ich musste ihn vorher ausschalten und den Richtern die Entscheidung leichter machen. Also sagte ich ihm, ich hätte heute wohl gewonnen, weil ich seit meiner Niederlage im letzten Jahr in New York deutlich an Muskelmasse zugelegt hätte. Er wirke ein bisschen leicht, vermutlich sei er deshalb heute unterlegen gewesen. Und so weiter und so fort. Ich wollte, dass er dachte, er müsse noch ein paar Pfund zulegen, um mit mir mitzuhalten. Seine Muskeln wirkten an dem Tag weich, und in New York sollten sie noch weicher wirken.
Der Wettbewerb um den Titel des Mister Olympia fand zwei Wochen später in einem plüschigen Theater mitten in Manhattan statt. Vor dem Wettkampf trafen sich die meisten Teilnehmer um die Mittagszeit im nahegelegenen Mid City Gym. Sobald ich Sergio sah, zog ich ihn wegen seiner Essgewohnheiten auf, und Franco fiel sofort mit ein und fragte ihn, ob er Gewicht verloren hätte. Alle lachten, außer Sergio. Wie ich schon bald merken sollte, hatte er den Köder geschluckt. Seit dem Wettkampf in Columbus hatte er 4,5 Kilo zugenommen, und niemand kann in zwei Wochen 4,5 Kilo zunehmen und immer noch definiert aussehen.
Das Town Hall fasste tausendfünfhundert Zuschauer und hatte vermutlich noch nie ein so lautstarkes Publikum erlebt. Sergios Fans riefen »Sergio, Sergio«,
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