Total Recall
und meine versuchten sie mit »Arnold, Arnold«-Rufen zu übertönen.
Am Ende eines langen Nachmittags wurden wir zu einem letzten Posedown auf die Bühne gerufen. Sergio ging sein Standardrepertoire durch, und ich schaltete wie geplant einen Gang höher und zeigte zu jeder seiner Posen drei verschiedene. Die Zuschauer waren begeistert.
Aber die Richter wollten immer weitere Posen sehen, bis ich schließlich dachte: »Jetzt reicht’s aber langsam.« Es lag vermutlich nicht daran, dass sich die Richter unsicher waren, sondern eher an den Zuschauern, die aufgesprungen waren und völlig durchdrehten. Wahrscheinlich sagten sich die Richter: »Lassen wir das ruhig noch ein bisschen so weiterlaufen, die Leute sind begeistert.«
Wir waren erschöpft. Nun holte ich zum letzten Schlag aus. Ich sagte zu Sergio: »Mir reicht’s. Die Richter sollen sich endlich entscheiden, egal für wen.«
Er antwortete: »Ja, du hast recht.« Er ging auf der einen Seite von der Bühne ab, und ich machte zwei Schritte zur anderen Seite. Aber dann blieb ich stehen und zeigte noch eine Pose. Und wandte mich dann schulterzuckend zu ihm, als ob ich sagen wollte: »Wo ist er denn hin?«
Sergio machte sofort kehrt und kam leicht verwirrt zurück auf die Bühne. Aber inzwischen riefen alle nur noch: »Arnold!« Einige Fans buhten ihn sogar aus. Ich nutzte die Gunst des Augenblicks und zeigte meine besten Posen. Dann war es vorbei. Die Richter berieten sich hinter der Bühne. Schließlich verkündete der Moderator, dass ich der neue Mister Olympia sei. Sergio sprach mich nie darauf an. Gegenüber anderen äußerte er aber, dass er fand, dass ich ihn hereingelegt hätte. Ich sah das anders. Ich hatte einfach die Gelegenheit beim Schopf gepackt. Ich war in der Hitze des Gefechts, das ich ohnehin bereits dominiert hatte, meinem Instinkt gefolgt und hatte ihm den Todesstoß verpasst.
Der nächste Morgen war allerdings seltsam, denn Sergio, Franco und ich teilten uns ein Hotelzimmer. Kaum war Sergio wach, begann er mit seinen Liegestützen und anderen Übungen. Wir waren baff. Selbst am Tag nach dem Wettkampf trainierte er im Hotel!
Es tat mir leid, dass er verloren hatte. Er war ein großartiger Champion und ein Idol für viele. Jahrelang hatte ich mich darauf konzentriert, ihn zu besiegen, ihn vernichtend zu schlagen, ihn vom Siegerpodest zu stoßen und ihm nur den zweiten Platz zu überlassen. Aber als ich am Morgen nach meinem Sieg aufwachte und ihn neben mir sah, war ich traurig. Es war ein Jammer, dass er verlieren musste, um Platz für mich zu machen.
Kapitel 8
Ausbildung zum Amerikaner
Im Bodybuilding war ich der König, aber im Alltag in Los Angeles war ich nur einer von vielen Einwanderern, die versuchten, Englisch zu lernen und sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Ich war so auf mein Leben in Amerika konzentriert, dass ich kaum noch an Österreich oder Deutschland dachte. Wenn ich in Europa war, schaute ich natürlich auch zu Hause vorbei. Außerdem hielt ich Kontakt zu Fredi Gerstl in Graz und Albert Busek in München. Albert und meinen anderen Freunden aus Europa begegnete ich zudem bei verschiedenen Bodybuilding-Veranstaltungen. Meinen Eltern sandte ich regelmäßig Bilder und Briefe, in denen ich erzählte, was ich machte. Wenn ich einen Wettkampf gewann, schickte ich ihnen den Pokal, weil ich wollte, dass sie stolz auf mich waren, und weil ich die Auszeichnungen in meiner Wohnung nicht brauchte. Ich weiß nicht, ob ihnen das am Anfang viel bedeutete, aber nach einiger Zeit hängten sie die Fotos auf und stellten für meine Preise ein eigenes Regal auf.
Mein Vater beantwortete meine Briefe auch im Namen meiner Mutter. Dabei unterließ er es nicht, in meinem ursprünglichen Brief die Rechtschreib- und Grammatikfehler rot anzustreichen und ihn seinem Antwortschreiben beizulegen. Angeblich wollte er verhindern, dass ich den Kontakt zur deutschen Sprache verlor, aber so hatte er auch schon die Aufsätze korrigiert, die Meinhard und ich als Kinder schreiben mussten. Solche Gesten gaben mir das Gefühl, dass meine Eltern und Österreich in der Zeit stehengeblieben waren. Ich war froh, weit weg mein eigenes Leben zu führen.
Meinhard und ich hatten so gut wie keinen Kontakt. Wie ich hatte er die Berufsschule abgeschlossen und ein Jahr beim Bundesheer gedient. Danach hatte er für eine Elektronikfirma gearbeitet, zuerst in Graz und später in München, als ich auch dort lebte. Trotzdem kreuzten sich unsere Wege nur selten.
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