Total Recall
standen. Also nahm ich Karteikarten und schrieb auf, was ich vorhatte:
12 weitere Leistungspunkte am College erreichen
Genug Geld verdienen, um 5000 Dollar zu sparen
Jeden Tag 5 Stunden trainieren
3 Kilo an reiner Muskelmasse zunehmen
Ein Apartmenthaus finden, um es zu kaufen und dort zu wohnen
Manche würden sich durch so konkrete Ziele vielleicht zu sehr unter Druck gesetzt fühlen. Aber bei mir war genau das Gegenteil der Fall. Ich fand es befreiend. Da ich wusste, wohin ich wollte, konnte ich völlig frei wählen und improvisieren, wie ich dorthin gelangte. Nehmen wir zum Beispiel die zwölf College-Leistungspunkte. Von welchem College sie kamen, war mir egal, das würde sich schon finden. Ich sah mir an, welche Kurse angeboten wurden, wie viel sie kosteten, ob sie in meinen Zeitplan passten und ob ich sie mit meinem Visum belegen durfte. Über die genauen Einzelheiten musste ich mir noch keine Gedanken machen, weil ich wusste, dass ich die Punkte bekommen würde.
Mein Status als Einwanderer war eins der Hindernisse, die ich bei meinem Studium am College umgehen musste. Ich hatte ein Arbeitsvisum, kein Studentenvisum, und durfte daher nur eine begrenzte Zeit mit Studieren verbringen. Beispielsweise konnte ich nicht mehr als zwei Kurse an einer Schule belegen und musste daher hin- und herspringen. Ich ging aufs West LA College, Santa Monica College und besuchte weiterführende Kurse an der University of California in Los Angeles (UCLA). Wenn ich einen Abschluss machen wollte, war das natürlich ein Problem, weil nicht sicher war, ob mir alle Leistungspunkte angerechnet werden würden. Doch ein Abschluss war gar nicht unbedingt mein Ziel, ich wollte einfach nur die Zeit, die mir zur Verfügung stand, so gut wie möglich nutzen und lernen, wie die amerikanische Wirtschaft funktionierte.
Zu den Englischkursen am Santa Monica College kamen also bald noch Kurse in Mathematik, Geschichte und Betriebswirtschaft hinzu. An der Business School der UCLA belegte ich Kurse in Buchhaltung, Marketing, Ökonomie und Management. Natürlich hatte ich in Österreich bereits Buchhaltung gelernt, aber in den USA war das etwas ganz anderes. Damals kamen die ersten Computer auf – IBM-Geräte mit Lochkarten und Magnetbändern. Das gefiel mir. Für mich war es eine typisch amerikanische Art, Dinge zu erledigen. Das College sprach meinen Sinn für Disziplin an. Ich studierte gern und hatte Freude daran, Bücher zu lesen und anschließend eine Hausarbeit darüber zu schreiben oder mich am Unterricht zu beteiligen. Ich arbeitete auch gern mit anderen Studenten zusammen und lud sie in meine Wohnung ein, wo wir dann Kaffee tranken und zusammen unsere Aufgaben machten. Die Lehrer ermunterten uns dazu, denn wenn einer etwas nicht wusste, konnten ihm die anderen helfen, wovon auch unsere Gespräche im Unterricht profitierten.
Für einen Kurs mussten wir jeden Tag den Wirtschaftsteil der Zeitung lesen und am nächsten Tag in der Klasse über die Artikel und Schlagzeilen diskutieren. Also schlug ich jeden Morgen als Erstes den Wirtschaftsteil auf. Der Lehrer sagte dann: »Da ist ein interessanter Artikel darüber, dass die Japaner ein amerikanisches Stahlwerk gekauft, demontiert und in Japan wieder aufgebaut haben. Jetzt produzieren sie den Stahl billiger als wir und verkaufen ihn an uns mit Gewinn. Reden wir darüber.« Es war immer wieder überraschend, mit welchen Themen wir konfrontiert wurden. Ein Gastdozent an der UCLA erzählte uns, dass es einen Zusammenhang gebe zwischen der Körpergröße eines Verkäufers und seinem Verkauf. Ein größerer Verkäufer verkauft tendenziell mehr. Das gefiel mir, weil ich ja ziemlich groß bin. Ich dachte: »Wenn ich mal etwas verkaufen will, brauche ich also ein großes Unternehmen.«
Ich fand außerdem eine feste Freundin, die einen sehr stabilisierenden Einfluss auf mich hatte. Eigentlich hatte ich keine Probleme, Frauen kennenzulernen. Im Bodybuilding gab es Groupies wie im Rock’n’Roll. Sie waren immer dabei, auf Partys, bei Messen, manchmal sogar bei Wettkämpfen hinter der Bühne, wo sie den Teilnehmern anboten, beim Einölen zu helfen. Sie kamen ins Studio oder an den Strand und sahen uns beim Training zu. Es war nicht schwer zu begreifen, was sie wollten. Am Venice Beach hatte man sofort die Telefonnummern von zehn Mädchen beisammen. Mit Barbara Outland war es etwas anderes, sie mochte mich einfach als Mensch. Anfangs wusste sie nicht einmal, was Bodybuilding ist. Wir lernten uns im
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