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Total Recall

Total Recall

Titel: Total Recall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karlheinz Dürr (VS Mihr)
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solchen Muskelprotzen machten. Andernfalls hätte die Gefängnisverwaltung auch sagen können: »Ihr trainiert nur, um die anderen Häftlinge zu verprügeln«, und ihnen die Gewichte wegnehmen können. Ich dachte deshalb, je populärer Bodybuilding im Gefängnis wäre, desto mehr Häftlinge würden sich vorbildlich benehmen.
    Das Krafttraining half den Häftlingen auch nach der Entlassung. Im Gold’s Gym oder anderen Studios fanden sie schnell Anschluss. Während die meisten Entlassenen an einer Bushaltestelle mit 200 Dollar in der Tasche abgesetzt wurden und weder einen Arbeitsplatz noch Freunde fanden, fiel man bei Gold’s schnell auf, wenn man 300 Pfund bewältigte. Jemand fragte: »Hey, willst du mit mir trainieren?«, und schon hatte man Kontakt geknüpft. Am schwarzen Brett bei Gold’s hingen immer Zettel, auf denen Mechaniker, Arbeiter, Fitnesstrainer, Buchhalter und so weiter gesucht wurden, und auch sonst halfen wir den ehemaligen Häftlingen, einen Job zu finden.
    Anfang der siebziger Jahre trat ich also in kalifornischen Gefängnissen auf, um Krafttraining populärer zu machen. Ich besuchte Männer- und Frauengefängnisse, von San Quentin über Folsom bis Atascadero, wo geisteskranke Straftäter untergebracht waren. Natürlich hätte ich das nicht tun können, wenn die Gefängnisleitungen etwas dagegen gehabt hätten. Aber sie unterstützten mich und empfahlen mich an andere Gefängnisse weiter.
    Im Herbst 1972 kamen meine Eltern nach Essen, wo ich am Mister-Olympia-Wettbewerb teilnahm, der zum ersten Mal in Deutschland stattfand. Sie hatten mich noch nie bei einem internationalen Wettkampf gesehen, und ich freute mich sehr über ihr Kommen, obwohl ich bei weitem nicht meine beste Leistung zeigte. Sie waren nur beim Wettkampf 1963 um den Titel des Mister Austria dabei gewesen, damals auf Einladung von Fredi Gerstl, der für die Sponsoren und Preise zuständig war.
    Es war großartig, sie in Essen dabeizuhaben. Sie waren unglaublich stolz. Sie sahen, wie ich zum dritten Mal zum Mister Olympia gekürt wurde und damit den Rekord für die meisten Titel im Bodybuilding brach. Meinen Eltern musste jetzt zum ersten Mal wirklich klar geworden sein: »Das hat er also gemeint, wenn er von seinem Traum gesprochen hat, unter dem wir uns immer nichts vorstellen konnten.« Meine Mutter konnte gar nicht glauben, wie ich mich auf der Bühne präsentierte: »Du bist überhaupt nicht schüchtern! Woher hast du das bloß?« Für sie war es ein freudiger Schock. Die Leute gratulierten ihr und meinem Vater zu meinem Erfolg und sagten Dinge wie: »Die eiserne Disziplin hat er gewiss von Ihnen!« Endlich erhielten sie die Anerkennung, die ihnen gebührte. Ich schenkte meiner Mutter die Medaille, damit sie sie mit nach Hause nehmen konnte. Sie war sehr glücklich. Natürlich fühlten sich beide etwas fremd, aber es war trotzdem ein wichtiger Moment. Und auch für meinen Vater war es ein Erlebnis, denn er hatte über mein Krafttraining immer gesagt: »Warum tust du nicht etwas Nützliches? Geh Holz hacken.«
    Dass ich in Essen nicht in Bestform war, war meinen Eltern nicht aufgefallen. Aber Tatsache war: Ich hatte zu viel Zeit mit dem College verbracht und zu wenig trainiert. Meine Unternehmen und die Verkaufsreisen und Messen hatten ebenfalls viel Zeit in Anspruch genommen. Franco und ich waren außerdem faul geworden, hatten auf Übungen verzichtet oder unsere Sets um die Hälfte gekürzt. Damit ich beim Training alles aus mir herausholte, brauchte ich ein klares Ziel, dann floss das Adrenalin. Ich musste feststellen, dass es viel schwieriger ist, oben an der Spitze zu bleiben, als sie zu erreichen. Vor dem Wettkampf in Essen war ich nicht richtig motiviert gewesen, weil es mittlerweile sehr einfach war, meine Position zu verteidigen. Meinen zweiten Titel als Mister Olympia in Paris 1971 hatte ich völlig mühelos gewonnen. Der einzige mögliche Herausforderer wäre Sergio gewesen – ansonsten gab es niemanden in meiner Klasse –, doch er war aufgrund eines Streits zwischen den Verbänden gesperrt. In Essen aber hatte es auf einmal den Anschein, als ob alle anderen Bodybuilder in Topform wären – nur ich nicht. Sergio war wieder da und noch beeindruckender, als ich ihn in Erinnerung hatte. Und ein neuer Bodybuilder aus Frankreich, Serge Nubret, eine wahre Sensation, war ebenfalls in hervorragender Form. Er war riesig, mit klar definierten Muskeln.
    Noch nie hatte ich einen so schweren Wettkampf zu bestreiten. Vor

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