Total Recall
mit den Fingern schnippen und sagen: »Jetzt kommt Bodybuilding!«, um den Sport auf die gleiche Stufe wie Tennis, Baseball oder Golf zu heben.
Aber am Ende verlief das Gespräch ganz gut. Weider lud die beiden für den nächsten Tag in seine Firmenzentrale im San Fernando Valley ein, wo sie ihn bei der Arbeit begleiteten und seine Firma besichtigten. Damit war der Grundstein für Bodybuilding als Breitensport gelegt. Ich glaube, diese Öffnung fiel Joe anfangs schwer. Er musste für sich erst überlegen, wie er mit dieser neuen Aufmerksamkeit umgehen sollte, und erkennen, dass es nicht darum ging, ihn aus dem Geschäft zu drängen, ihn auszustechen oder ihm seine Sportler abzuwerben. Ich glaube, dass er Befürchtungen in dieser Richtung hatte. Doch schließlich lernte er den Blick der beiden von außen aufs Bodybuilding durchaus zu schätzen und nahm Fotos von Butler und Artikel von Gaines in seine Zeitschriften auf.
Ich stand irgendwo dazwischen. Ich sah beide Seiten und begrüßte die Entwicklung, weil ich wusste, dass der Sport frisches Blut benötigte. Ich überlegte außerdem, ob auch ich meine Position durch die Zusammenarbeit mit Butler und Gaines verändern könnte, ein bisschen Distanz gewinnen, um das Bodybuilding mit neuen Augen zu sehen und Möglichkeiten zu finden, das Ansehen des Sports in der Öffentlichkeit zu verbessern.
Im Lauf der Monate nahm das Buch der beiden allmählich Form an. Durch die Recherchen für Pumping Iron wurden George und Charles bald zu bekannten Gesichtern im Gold’s Gym. Beide waren amüsante Gesprächspartner und ergänzten meinen Bekanntenkreis um ganz neue Typen. Gaines war der gutaussehende, selbstbewusste Sprössling einer reichen Familie aus Birmingham in Alabama, sein Vater war ein erfolgreicher Geschäftmann, seine Freunde Mitglied im Country Club. Er hatte eine wilde Jugend hinter sich, hatte das College abgebrochen und war per Anhalter durchs Land gereist. Er sagte immer, das Bodybuilding habe ihm geholfen, sein Leben in den Griff zu bekommen. Später wurde er Lehrer und ein großer Naturfreund. Als wir uns kennenlernten, wohnte er mit seiner Frau, einer Malerin, in Neuengland.
Gaines schrieb über faszinierende Sportarten, über die kaum berichtet wurde: Bodybuilding, Eisklettern, Eis-Skifahren und so weiter. Er war sehr sportlich, liebte die Natur und probierte die Sportarten selbst aus, bevor er über sie schrieb. Er konnte wirklich vermitteln, was ein Gewichtheber empfand, wenn er 30 Pfund mehr beim Bankdrücken schaffte als noch vor einem Monat.
Butler wirkte noch exotischer auf mich. Er war Brite und in Jamaika, Kenia, Somalia und Wales aufgewachsen. Sein Vater war sehr britisch und hatte Wert auf eiserne Disziplin gelegt. George erzählte oft von seiner strengen Erziehung. Er schilderte auch, dass er in der Karibik meistens mit seiner Mutter allein gewesen war, während sein Vater irgendwo unterwegs war. Schon früh wurde er aufs Internat geschickt. Später besuchte er die Groton School und studierte an der University of North Carolina und am Hollins College, wodurch er gute Beziehungen zur New Yorker Oberschicht hatte.
Es mochte an dieser Herkunft liegen, dass George einem manchmal kalt vorkam oder arrogant wirkte. Er beklagte sich über Kleinigkeiten. Er hatte immer eine Schultertasche von L. L. Bean mit seiner Kamera und einem Notizbuch dabei. Er machte sich ständig Notizen. Auf mich wirkte das irgendwie aufgesetzt, als ob er Hemingway kopieren wollte oder einen berühmten Forscher.
Aber für den Aufbau eines neuen Images brauchte das Bodybuilding genau solche Leute. Er machte Fotos, bei denen die Leute sagten: »Wow, schau dir das an!« Er fotografierte nicht einfach Bodybuilder beim Posing, weil solche Bilder die breite Öffentlichkeit nun einmal nicht sonderlich interessierten, sondern zeigte beispielsweise einen Bodybuilder als winzige Gestalt vor einer riesigen amerikanischen Flagge. Oder er fotografierte die Gesichter der Mädchen in Mount Holyoke, wenn sie Bodybuildern beim Wettkampf zusahen. Auf solche Ideen kamen Weiders Leute gar nicht.
George schaffte es, aus nichts etwas machen. Vielleicht war es auch gar nicht unbedingt nichts, vielleicht kam es mir auch nur so vor, weil ich es jeden Tag sah und Teil davon war. Für ihn war es dagegen etwas ganz Neues. Einmal fragte er mich, nachdem er den ganzen Tag im Gold’s fotografiert hatte: »Wie machst du das, dass du so schnell durchs Studio läufst und nie mit jemandem
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