Total Recall
»Aber bei Bob Rafelson mache ich mir da keine Sorgen, er ist definitiv der richtige Regisseur. Ihm ist das alles sehr bewusst.«
In Five Easy Pieces gibt es eine Szene, in der Jack Nicholson weint. Eric erzählte mir, dass Rafelson mit dem Dreh aufgehört und zwei Stunden lang mit Nicholson geredet hatte, bis er merkte, wie ihm die Tränen kamen. Sie redeten über etwas in seinem Leben, sehr leise, damit die anderen am Set sie nicht hörten. Dann verkündete Bob: »Gut, Jack, bleib so«, und die anderen Schauspieler kamen dazu, die Kamera lief, und Nicholson weinte. »Bob hat ihn dazu gebracht«, sagte Eric. »Manchmal ist es schwer, manchmal einfach, und manchmal passiert es gar nicht, dann muss man es an einem anderen Tag noch einmal probieren. Ich versuche, dir die richtigen Werkzeuge an die Hand zu geben. Vielleicht hast du nicht geweint, als dein Bruder starb, vielleicht hast du auch nicht geweint, als dein Vater starb. Aber möglicherweise bedrückt es dich, dass du hier bist und sie tot sind, dass nur noch du und deine Mutter übrig sind?«
Er probierte alle möglichen Ansätze. Aber beim Thema Weinen waren wir an einem toten Punkt angelangt. Ich kapierte es nicht. Nichts funktionierte. Also beschlossen wir, dass das Weinen aufs Stichwort vorerst noch warten musste.
Zusätzlich zu den Privatstunden nahm ich auch noch Gruppenunterricht, dreimal die Woche, von neunzehn bis dreiundzwanzig Uhr. Wir waren zwanzig Leute und arbeiteten gemeinsam an Szenen oder machten verschiedene Übungen, die manchmal recht lustig waren. Eric wählte ein Thema, beispielsweise Wut und Frustration. »Ich möchte, dass alle darüber reden. Was frustriert euch?« In der ersten Stunde schilderten wir Situationen, in denen wir wütend oder frustriert waren. Dann sagte er: »Gut. Merken wir uns diese Emotion. Jetzt nennt mir jemand ein paar Sätze, erfindet Text, der diese Frustration zum Ausdruck bringt.« Wir improvisierten Frustration. Beim nächsten Mal ging es dann vielleicht um eine Leseprobe, ums Vorsprechen und so weiter.
Deutlich unangenehmer wurde es, wenn Morris Dinge vor der ganzen Schauspielklasse ausbreitete, die ich ihm in den Privatstunden erzählt hatte. Damit wollte er bei mir einen Nerv treffen. Er hatte auch keine Scheu, mich zu drängen oder vor den anderen bloßzustellen. Wenn ich zum Beispiel meinen Text aus dem Drehbuch von Stay Hungry vortrug, konnte es vorkommen, dass er mich unterbrach und sagte: »Was zum Henker soll das sein? Mehr steckt nicht in dir? Als wir es heute Nachmittag zusammen einstudiert haben, da hatte ich Gänsehaut. Aber jetzt habe ich garantiert keine Gänsehaut. Ich habe vielmehr das Gefühl, dass du mir etwas vormachst oder die Arnold-Masche abziehst. Aber hier geht es nicht um die Arnold-Masche. Hier geht es um etwas ganz anderes. Noch einmal von vorn!«
Beim Privatunterricht konzentrierten wir uns auf das Drehbuch. Morris erklärte mir: »Wir gehen es Satz für Satz durch und analysieren auch die Szenen, die nichts mit dir zu tun haben, weil eigentlich jede Szene etwas mit dir zu tun hat. Wir müssen herausfinden, warum du im Süden bist, was es für dich bedeutet, die Leute vom Country Club zu treffen, die mit ihrem geerbten Geld um sich schmeißen und jeden Abend Cocktails trinken. Wir müssen das Wetter verstehen, das Fitnessstudio und die Gauner, die jeden um ihr Geld betrügen.« Also arbeiten wir uns Seite für Seite, Zeile für Zeile durchs Drehbuch. Wir redeten über jede Szene, ich lernte die Dialoge, und danach analysierten wir die Szenen erneut. Ich sprach meinen Text vor ihm und dann noch einmal abends in der Klasse vor zwanzig Leuten. Eins der Mädchen musste dann Mary Tates Text übernehmen.
Dann musste ich vor Bob Rafelson lesen. Ich sah die lange Reihe von Schauspielern, Männer wie Frauen, die in Bobs Büro für die anderen Rollen vorsprachen. Falls ich je Zweifel gehabt hatte, spätestens jetzt wurde mir klar, dass der Film eine wirklich große Sache war. Rafelson legte Wert darauf, mich mit allem vertraut zu machen, und brachte mir Dinge bei, die weit über das Schauspielen hinausgingen. Er erklärte stets, warum er etwas machte. »Ihn habe ich genommen, weil er aussieht wie ein Typ aus dem Country Club«, oder: »Wir drehen in Alabama, weil wir in Kalifornien nie eine so üppig grüne Landschaft finden würden, geschweige denn die Austernbars oder den Hintergrund, den wir für einen authentischen Film brauchen.« Bob erläuterte mir seine Arbeitsweise am Beispiel
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