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Total Recall

Total Recall

Titel: Total Recall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karlheinz Dürr (VS Mihr)
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tauchte in ein Meer neuer Wörter ein, die ich wieder und wieder hörte, bis ich schließlich doch nachfragte, was sie bedeuteten.
    Mein Horizont erweiterte sich, ich beschäftigte mich mit Dingen, die ich bislang ignoriert hatte. Im Wettkampf hatte ich Emotionen immer abgeblockt. Man muss seine Gefühle unter Kontrolle haben, sonst lässt man sich zu leicht ablenken. Frauen versuchten oft, über Gefühle zu sprechen, aber ich kam mir dumm dabei vor. Emotionen waren in meinem Lebensplan nicht vorgesehen. Natürlich gab ich das nicht unbedingt zu. Die Frauen waren nicht gerade glücklich, wenn jemand so etwas sagte. Ich hörte also lieber zu, ohne viel zu sagen, und meinte nur: »Ja, das verstehe ich.« Beim Schauspielen schien es genau umgekehrt. Man musste Gefühle an sich heranlassen und zum Ausdruck bringen, denn dadurch wurde man erst zu einem guten Schauspieler.
    Wenn ich in einer Szene eine bestimmte Emotion zeigen sollte, forderte Morris mich auf, an bestimmte Sinneseindrücke zu denken, die ich mit diesem Gefühl verband. Nehmen wir an, man verbindet den Geruch von frischgebrühtem Kaffee mit der Zeit, als man sechs Jahre alt war und die Mutter Kaffee machte, wahrscheinlich nicht für den kleinen Sohn, sondern für den Vater. Man stellt sich vor, wieder mit den Eltern zusammen in der Küche zu sitzen, und wird dadurch in eine bestimmte Gefühlslage versetzt. Und der Geruch des Kaffees hat einen dorthin geführt. Oder der Duft einer Rose, als man vielleicht zum ersten Mal Blumen für die Freundin gekauft hat: Man sieht sie vor sich, ihr Lächeln, erinnert sich an ihren Kuss und wird dadurch in eine besondere Stimmung versetzt. Oder man hört einen Rock’n’Roll-Song aus den Sechzigern, der einen in die Zeit zurückversetzt, als man ihn beim Krafttraining im Fitnessstudio immer im Radio hörte. Morris versuchte, mit mir die verschiedenen Auslöser für bestimmte Emotionen zu entwickeln, die ich brauchen könnte. Er sagte zum Beispiel: »Wenn du bei einem Wettkampf gewonnen hast, warst du dann in Hochstimmung und völlig aufgekratzt? Vielleicht können wir das für eine Szene verwenden.«
    Aber ich musste ihm erklären, dass ich mich nach einem Sieg nie übermäßig beflügelt fühlte, weil Gewinnen für mich selbstverständlich war. Schließlich trat ich deshalb an. Ich war verpflichtet zu gewinnen. Daher hatte ich nie das Gefühl: »Hurra! Ich habe gewonnen!« Stattdessen sagte ich mir: »Okay, erledigt. Weiter zum nächsten Wettkampf.«
    Mich begeisterten andere Erfolge viel mehr. Wenn ich alle Kurse an der UCLA bestand, war ich vor Freude ganz aus dem Häuschen, weil ich zwar damit gerechnet hatte, es aber trotzdem eine freudige Überraschung war. Oder wenn ich zu einer Weihnachtsfeier eingeladen wurde und unerwartet beschenkt wurde. Das erklärte ich Morris. Er sagte dann nur: »Okay, versetzen wir uns also zurück in diese Stimmung.«
    Er stocherte in meinem Gefühlsleben herum. Wann empfand ich Liebe? Wann fühlte ich mich ausgeschlossen? Wie fühlte ich mich, als ich von zu Hause wegging? Wie fühlte mich, als meine Eltern mir sagten, es sei an der Zeit, Kostgeld zu bezahlen, wenn ich weiter bei ihnen wohnen wollte? In Amerika gibt es das nicht, wie fühlte es sich für mich an? Er forschte so lange nach, bis er das richtige Gefühl gefunden hatte.
    Anfangs hasste ich diese Übungen. Ich sagte ihm: »Ich habe mich noch nie mit solchen Sachen beschäftigt. Das ist nicht meine Art zu leben.« Er glaubte mir kein Wort. »Du gibst dich als Typ aus, der keine Emotionen kennt, aber mach dir nichts vor. Nicht auf seine Gefühle zu achten oder sie zu unterdrücken heißt nicht, dass man keine Gefühle hat. Du hast diese Gefühle, ich sehe es in deinen Augen, wenn du bestimmte Dinge sagst. Du kannst einen Täuscher nicht täuschen.«
    Er brachte mir bei, Zugang zu sämtlichen Emotionen in meinem Innern zu finden. »Jeder hat Gefühle«, erklärte er. »Der Trick beim Schauspielen besteht darin, sie möglichst schnell abzurufen. Warum können manche Schauspieler wohl auf Befehl weinen? Nicht einfach mechanisch weinen, sondern richtig mit Gefühl, mit verzerrtem Gesicht und zitternder Lippe? Das liegt daran, dass der Schauspieler etwas sehr Aufwühlendes auf Kommando abrufen kann. Und der Regisseur muss das bei der ersten oder zweiten Einstellung im Kasten haben, weil der Schauspieler das nicht beliebig oft wiederholen kann, ohne dass es mechanisch wirkt. Man muss mit seinen Gefühlen gut haushalten«, sagte er.

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