Tote essen kein Fast Food
âDer gewünschte Teilnehmer ist ...â, äffte ich die Frauenstimme nach, die mit aufreizender Sachlichkeit in mein Ohr blökte, und würgte sie ab. Wahrscheinlich lag Martins Handy noch neben dem Bett, wo es als Wecker Dienst tat. Oder es steckte in einer Jacke, die er gerade nicht anhatte.
Drei Minuten lang hackte ich mit meiner Krücke auf einem Fetzen Kaugummipapier herum, der auf dem Gehweg lag. Dann beschloss ich widerwillig, Svea anzurufen. Nach meinem Bunker-Unfall hatte sie mir ihre Handynummer gegeben. âSicherheitshalberâ, wie sie sagte.
Beinahe hätte ich es übersehen, als ich mich zum Buchstaben S auf meinem Display durchfummelte. Doch mein Unterbewusstsein schrie âStopp. Zurück!â, als ich gerade bei âSveaâ angelangt war. Eine Zehntelsekunde später fokussierten sich meine Augen auf einen Eintrag, der mir komplett unbekannt war. Unmittelbar vor Svea stand: Schwimmkurs Jan. Und die dazugehörige Mobilnummer lautete 0172/611... Grins. Da hatte sich dieser Kerl doch glatt erlaubt, seine Nummer in mein Handy zu tackern, während ich quasi schockgefrostet im Bunker saÃ. Ganz schön dreist. Aber auch irgendwie süÃ.
Während ich noch darüber nachdachte, ob ich ihm vielleicht eine kleine SMS schicken sollte â âSeepferdchen sucht Schwimmflügelâ â oder so, bremste dicht vor meinen FüÃen ein Fahrrad scharf ab. âMann, gehtâs noch?â Mit gerunzelter Stirn blickte ich auf, um den Fahrer zusammenzufalten. Aber das Wort blieb mir im Hals stecken, was relativ selten vorkommt.
âStatt Rollator?â, frotzelte Jan, ganz ungewohnt in Jeans und Sweatshirt, und stupste mit dem Vorderreifen eine der Krücken an, die vom Geländer gerutscht war. âEigentlich wollte ich dir nur das Schwimmen beibringen. Aber wieâs aussieht, musst du erst mal wieder laufen lernen.â
âJaâ, sagte das Seepferdchen und ärgerte sich, weil ihm so schnell keine geistreichere Antwort einfiel.
âWas machst du denn hier? Arglosen Passanten mit deinen Krücken ein Bein stellen? Oder bist du auf der Suche nach einem neuen Loch, in das du fallen könntest?â
âSehr komisch. Ich wollte mir ein Buch ausleihen, aber diese blöde Bücherei hat nur an einem einzigen Tag in der Woche geöffnet. Und der war gestern.â
âSoll ich dich zur Alten Tonnenhalle am Hafen bringen? Vielleicht findest du dort was im Buchladen.â
âNein, ich such was ganz Bestimmtes. Ãber Sylt. Das haben die nicht.â
âNa, klar haben die das. Da liegen stapelweise Syltbücher rum.â
âAber mein Buch ist von 1992. Und schon lange vergriffen.â
âUnd warum willst du so einen alten Schinken lesen?â
âWeil ... weil ...â Ich kämpfte mit mir. Sollte ich ihm von den unheimlichen Geräuschen im Bunker erzählen auf die Gefahr hin, dass er mich für leicht gestört halten würde?
âWeil?â Sein eines Grübchen lächelte mich fragend an.
âWeil ich wissen möchte, ob dieser Bunker unter den Dünen noch einen zweiten Ausgang oder vielmehr Eingang hat. Und wenn ja, wo der liegt.â
âDas Gemäuer, aus dem ich dich gezogen habe, soll ein alter Bunker gewesen sein?â
âJa, sagt jedenfalls mein Vater. Und die meterdicken Betonmauern sprechen auch dafür.â
âWow.â
âAuÃerdem: Diese Muffdecke, auf der ich gesessen habe, hatte so einen Rest von einem rötlichen Emblem in einer Ecke. Vielleicht ein Hakenkreuz.â
âKrass.â Jan stieg vom Rad und setzte sich neben mich auf die Metallstange. Ich erzählte ihm, was mein Vater mir erklärt hatte. Von der Invasion, die dann woanders stattfand. Und von den labyrinthartigen Bunkeranlagen, mit denen im Zweiten Weltkrieg halb Sylt untertunnelt war. Von den mysteriösen Internet-Seiten erzählte ich erst mal noch nichts. Auch nicht von dem Schuss unter Tage.
âIch bin im Internet auf dieses Buch gestoÃen. âDie Festung Syltâ. Da soll was über die Bunker drinstehen. Aber jetzt komm ich da nicht ran bis nächsten Mittwoch.â
âAber wieso ist das denn so wichtig, ob das Ding noch einen zweiten Eingang hat? Oder Ausgang. Hast du die Absicht, noch mal reinzufallen? Und dann zu gucken, ob du alleine wieder rauskommst? So âne Art Survival-Training?â
âQuatsch.â Ich kämpfte mit mir.
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