Tote Finnen tanzen keinen Tango: Kriminalroman (German Edition)
die Länge, als es Kuhala lieb war. Sofort stand fest, dass man Jokela nicht mit einer großartigen Rechnung kommen konnte, jedenfalls nicht ohne Resultat.
»Kommen Sie rein!«
Jokela führte Kuhala ins Wohnzimmer im ersten Stock. Durchs Panoramafenster ging der Blick direkt auf den See, der in der Sonne glitzerte, da der leichte Wind unablässig die Wasseroberfläche sträubte. Der Raum war mit dickflorigen Wandtextilien, Edelholzkommoden und einer Ledercouch ausgestattet, für deren Transport man einen Kran benötigt hätte.
»Setzen Sie sich!«
Der Mann gab seine Kommandos im Offiziersstil. Er roch nach einem Hundertfünfzig-Euro-Rasierwasser, die graue Tolle war so in die Stirn gefönt, wie der Friseur es empfohlen hatte.
Kuhala lupfte seine Hose an den kurvenreichen Bügelfalten und ließ sich in einem patinierten Ledersessel nieder, von dem aus man wahlweise die Landschaft draußen oder den silbern eingerahmten Mannerheim auf dem Regal betrachten konnte. Der Marschall wurde von seinem eigenen berühmten Großfinnland-Tagesbefehl vom 11. Juni 1941 und einem kriegerischen Truppenverbandswimpel flankiert, wodurch sich das kleine Arrangement zu einem leicht überkommenen Hausaltar aufschwang.
Es schien, als hätte Jokela nicht die geringste Absicht, seine Grundwerte von den Nichtigkeiten der Gegenwart ansäuern zu lassen.
Er brachte noch einmal seine am Telefon geäußerte Sorge zum Ausdruck und zeigte Kuhala ein Foto, das eine attraktive Frau um die vierzig zeigte. Die hohen Wangenknochen, die vollen Lippen und die warmen, leicht südländisch anmutenden Augen bildeten einen Gesamteindruck, bei dem auch manch einer weiche Knie bekommen hätte, der wesentlich jünger war als Jokela. Lockiges, aber kurz geschnittenes Haar umrahmte das Gesicht der Frau, das Foto war eventuell im Garten des Hauses aufgenommen worden.
Jokela gab Kuhala das Bild nicht, sondern hielt es ihm in einiger Entfernung hin, als befürchtete er, der andere Mann könnte es durch seine Berührung beschmutzen. Die Frau hieß Helena. Kuhala blickte auf, um zu signalisieren, dass sich ihre Züge bereits in sein geschultes Detektivsgedächtnis eingeprägt hatten. Das durchs große Fenster einfallende Licht betonte Jokelas stählerne Blässe zusätzlich.
»Wann ist Ihre Frau verschwunden?«
»Vorgestern, am Sonntag.«
»Dann ist es vielleicht noch nicht sonderlich besorgniserregend.«
»Vielleicht darf ich selbst entscheiden, was hier besorgniserregend ist und was nicht.«
»Selbstverständlich.«
Kuhala verbarg sein Grinsen. Der Anwalt war kein Schönredner und versuchte jedenfalls nicht, zum Vergnügen die Atmosphäre mit dem Zucker der Schmeichelei zu versüßen. Er stellte das Foto seiner Frau auf den Mahagonitisch und trat ans Fenster. Er sagte, an derselben Stelle habe er auch am Sonntagabend um halb sechs gestanden, bevor er kurz in sein Büro gefahren war. »Meine Frau paddelt. Sie arbeitet nicht. Sie ist von Beruf Biologin, hat hier aber keine passende Stelle gefunden. Eine Laufbahn als Lehrerin interessiert sie nicht besonders, und da sie nicht aus finanziellen Gründen arbeiten muss, ist sie zu Hause.«
Jokela stellte sich auf die Fußballen und blickte auf die Uhr. Unten klingelte ein Telefon.
»Ich habe sie mit dem Fernglas beobachtet. Sie hatte eine Schwimmweste an. Dort drüben vom Wasserwerk aus ist sie der Uferlinie gefolgt bis zum Campingplatz. Ein sportlicher Mensch.«
Jokela hatte hinter dem Vorhang ein Fernglas für Profis hervorgezaubert und illustrierte seine Schilderung, indem er nun mit optischer Unterstützung auf den See hinausschaute.
»Ich glaube, dass es wieder losgeht.«
»Verzeihung?«
»Helena betrügt mich.«
»Tatsächlich? Woher wissen Sie das? Ist sie denn gar nicht verschwunden?«
Jokela bedeutete Kuhala ans Fenster zu kommen. Mit seinem Fernglas und seinen Gesten sah er aus wie ein Binnenschiffkapitän. Womöglich fanden sich hinter dem Vorhang weitere Requisiten: Sailor-Mütze und Nebelhorn. »Schauen Sie mal in die Richtung dort, ein Stück links an der Hauswirtschaftsschule vorbei. Sie sehen bestimmt das gelbe Backsteinhaus.«
Als Rentner – und debil – würde Jokela einer von denen sein, die bei der Notrufzentrale anriefen und die Beobachtung von U-Booten meldeten.
Kuhala spähte verdutzt in die Richtung, die Jokela ihm wies, und spürte dabei dessen Hand auf der Schulter. Er sah das Haus. Es stand auf einem teuren Grundstück, der Rasen war mindestens ebenso grün wie in Jokelas
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