Tote Fische beißen nicht: Ein neuer Fall für Pippa Bolle (German Edition)
ihr nachsah. Als er die neugierigen Blicke der anderen bemerkte, zwang er sich schnell ein Lächeln ins Gesicht, und so entging Gerald Remmertshausen, dass Achim Schwätzer sich unauffällig an Tatjanas Fersen heftete.
Tatjana Remmertshausen ignorierte geflissentlich den Eingang des Touristenbüros und ging zielstrebig auf einen alten Citroën HY zu. Der mit Wellblech verkleidete Lieferwagen war in den okzitanischen Landesfarben Blutrot und Dottergelb lackiert und diente als Verkaufsstand für Knoblauchspezialitäten. Die Seitenklappe war hochgestellt und konnte so entweder als Sonnen- oder als Regenschutz für das Verkaufsfenster fungieren. Im Inneren des Oldtimers wurde auf kleinen Regalen die Ware präsentiert: Wurst, Käse, Gläser mit eingelegtem Knoblauch und ausgesuchte Weine.
Tatjanas strahlendes Begrüßungslächeln erstarb, als sie den weißhaarigen, wettergegerbten Herrn hinter der Verkaufsluke erkannte, der bei ihrem Anblick unwillig den Mund verzog.
»Madame Remmertshausen«, sagte er dennoch höflich, »sind Sie also bereits eingetroffen.«
»Ja, ja.« Tatjana wedelte ungeduldig mit der Hand. »Wo ist er?«
»Wo wird er schon sein? Pascal steht in der Küche, Mittagessen zubereiten«, antwortete Ferdinand Legrand.
»Aber ihr habt doch mittags gar nicht geöffnet!«, entfuhr es ihr verblüfft.
»Das handhaben wir flexibel, wenn auch nicht für jeden … oder jede«, murmelte Legrand, nickte und bediente eine Kundin, die ein paar eingelegte Knoblauchknollen und eine Flasche Blanquette kaufen wollte.
Tatjana Remmertshausen wandte sich wütend um und stieß mit Achim Schwätzer zusammen, der sie an den Oberarmen festhielt.
»Na, hast du hier nicht bekommen, was du haben wolltest?«, fragte er anzüglich. »Vielleicht kann ich es dir besorgen?«
»Du solltest nichts versprechen, was du nicht halten kannst, Achim Schwätzer.« Tatjana sah ihn betont mitleidig an. »Aber wenn du nur noch deinen Fähigkeiten angemessene Angebote machen würdest, müsstest du ja für immer schweigen.«
Sie befreite sich mit einem Ruck und schlenderte lässig entlang der Stände über den Marktplatz, bis sie im Büro der Touristeninformation verschwand. Achim Schwätzer sah ihr mit einer Miene nach, die einer Kriegserklärung gleichkam.
Pia zog Pippa an der Hand über eine Wiese bis zu einem Pavillon, zu dem einige Stufen hinaufführten. Von dort aus konnten sie fast den gesamten See überblicken. Umrahmt von dunkelgrün bewaldeten Hügeln lag der Lac Chantilly zu ihren Füßen und schillerte in Dutzenden von Blautönen. Am äußersten Rand des Pavillons hatte ein Maler seine Staffelei aufgebaut, konzentriert bannte er das beeindruckende Panorama auf Leinwand. Bei ihrer Ankunft drehte er sich um und nickte ihnen freundlich zu. Er trug Jeans, Ringelshirt, farblich passendes Halstuch und Baskenmütze, und Pippa registrierte erstaunt, dass er trotz seines Vollbarts jungenhaft wirkte.
Sie lehnte sich an die Brüstung und betrachtete das Funkeln der Sonne auf dem Wasser. Mitten auf dem See saß ein Angler in einem Ruderboot, und einige Spaziergänger schlenderten den Uferweg entlang.
»Das hier kann unmöglich Südfrankreich sein!«, rief Pippa begeistert. »Bin ich während der Fahrt eingeschlafen, und du hast mich heimlich nach Kanada verfrachtet?«
Pias Lachen klang so stolz, als hätte sie die Landschaft selbst entworfen. »Ich habe dir doch versprochen, dass hier alles ein wenig anders ist. Das Sahnehäubchen der Montagne Noire: unser Chantilly-sur-Lac. Eine Oase der Ruhe. Wenn Jochen und ich Probleme wälzen, umrunden wir einfach einmal den See. Wir durchwandern dabei nicht nur das waldreiche Ontario, waten durch die Sümpfe des Hohen Fenn, aalen uns am Strand eines norditalienischen Sees oder faulenzen auf einer südenglischen Picknickwiese, sondern haben am Ende des Weges auch völlig vergessen, warum wir uns gestritten haben.«
Pippa grinste. »Vielleicht sollte ich mal mit Freddy hierher kommen – oder sogar mit Leo.« Dann trat sie näher an die Staffelei und nickte dem Künstler anerkennend zu, der mit schwungvollem Pinselstrich immer neue Blautöne auftrug, um die Farben des Sees naturgetreu zu erfassen.
»Jetzt verstehe ich, warum Kommissar Schmidt letztes Jahr so wütend war, als die Morde von Schreberwerder ihm den Angelurlaub in den Montagne Noire versaut haben. Das hier hätte ich auch nicht gerne verpasst«, sagte Pippa nachdenklich. Sie fuhr erschrocken zusammen, als Palette und Pinsel des
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