Tote Fische beißen nicht: Ein neuer Fall für Pippa Bolle (German Edition)
jedenfalls nicht danach. Weiß dein Polier vom Geheimnis dieses Hauses?«
»Gott bewahre!«, rief Pia erschrocken aus. »Und er darf es auch niemals erfahren! Der Mann ist so abergläubisch, der geht unter keiner Leiter durch!«
»Für einen Bauarbeiter eine echte Herausforderung«, erwiderte Pippa trocken.
Sie stiegen die enge, knarrende Treppe zum Obergeschoss hinauf, auf deren hellen abgetretenen Holzdielen sich dunkle Flecken abzeichneten. Pippa hockte sich hin, um die Stellen näher zu betrachten.
»Tod durch freien Fall?«, fragte sie und sah zu Pia hoch.
»Astrein kombiniert, Miss Marple. Es wird vermutet, dass der junge Mann die Treppe hinuntergefallen ist – oder gestoßen wurde. Auf jeden Fall ist das Blut, und zwar jede Menge davon. Dummerweise hat man die Leiche des vermeintlichen Opfers nie gefunden, aber es gibt jede Menge Gerüchte. Und bei diesen Gerüchten ist es all die Jahre geblieben. Bevor wir hier einziehen, wüssten wir aber gern mehr über die damaligen Ereignisse. Ganz gleich, was du herausfindest – es wird uns weiterhelfen.« Sie sah Pippa bittend an. »Dann werden wir uns hier sicherer fühlen.«
Pippa wich Pias Blick aus und richtete sich auf. Neugierig sah sie sich im Dachgeschoss um. Von dem schmalen Flur gingen vier Türen ab. Die Türblätter waren ausgehängt, und sie sah in Kammern mit starker Dachschräge sowie in ein Bad, das seinem Namen nur noch durch vereinzelte Fliesen an der Wand gerecht wurde.
Pia führte Pippa in den größten der Wohnräume, und beim Blick aus dem Fenster wurde klar, dass sie sich über der Haustür befanden.
»Rechts und links werden die Kinder schlafen, und das Bad geht nach hinten raus«, erklärte sie und schaute auf ihre Armbanduhr. »Verdammt, schon fast zwei Uhr. Pascal erwartet uns zum Mittagessen! Lass uns gehen. Dabei kann ich dir alles Weitere erzählen.«
Sie liefen zurück zum Auto und fuhren ein Stück die Rue Cinsault entlang, bis Pia in eine breite Auffahrt einbog und auf einem Parkplatz anhielt. Mit Pippas Gepäck beladen, folgten sie einem Kiesweg, der an einer überdachten Terrasse entlang zum Haupthaus führte. Pippa blieb stehen und betrachtete die Gartenmöbel. »Belle Époque vom Feinsten. In diesen gemütlichen Sesseln werde ich hervorragend aussehen. Und mich fühlen wie im Schlaraffenland. Im wahrsten Sinne des Wortes.« Sie blickte sich um. »Und natürlich werde ich meine Übersetzungsarbeit erledigen«, fügte sie eilig hinzu, als sie Pias amüsierten Blick bemerkte. »Wann öffnet die Kaffeebar?«
»Täglich um 15 Uhr – außer montags. Du kannst dir auch drinnen einen Kaffee holen und ihn mit nach draußen nehmen. Aber vergiss bei aller Arbeit nicht die Montagne Noire und das wirkliche Leben.«
»Die kommen erst dran, wenn ich mit meiner Arbeit fertig bin«, sagte Pippa und seufzte.
»Du musst dir unbedingt die Gegend ansehen. Pascal soll dich mitnehmen, wenn er zu den Bauern fährt, um für das Restaurant einzukaufen. Dann hast du Abwechslung.«
»Das klingt, als würdest du damit rechnen, dass euer Umbau erst zum Winter fertig wird und du mich bis dahin bei Laune halten müsstest.«
Aus der Eingangstür trat eine zierliche ältere Frau und winkte ihnen zu.
»Das ist Lisette!«, sagte Pia und rief: »Bonjour, Lisette! Wartet ihr schon?«
Lisette Legrand kam ihnen ein paar Schritte entgegen. »Willkommen, willkommen!« Sie umarmte zuerst Pia und gab dann auch Pippa Küsse auf beide Wangen. Dann griff sie umstandslos und mit erstaunlicher Energie nach einem von Pippas Koffern.
»Den Rest lassen wir hier stehen«, befahl Lisette Legrand resolut. »Darum kann Ferdinand sich kümmern, wenn er vom Markt zurück ist. Jetzt wird erst einmal gegessen, ihr müsst vollkommen ausgehungert sein.«
Trotz des schweren Koffers schaffte sie es, die Tür einladend aufzuhalten. Sie stellte das Gepäckstück an einer kleinen Rezeption ab und führte die beiden Frauen weiter in das gemütliche Restaurant.
»Sie spricht phantastisch deutsch«, flüsterte Pippa, und Pia nickte.
Lisette hatte offenbar Ohren wie ein Luchs, denn sie sagte: »Ich stamme aus dem Elsass, aus Wissembourg, das liegt nur zwei Kilometer von der deutschen Grenze entfernt – da war es notwendig, dass man beide Sprachen spricht. Ich habe dort in einem kleinen Grenzhotel gearbeitet. Heute fühlt es sich so an, als wäre das in einem anderen Leben gewesen. Aber ich bleibe im Training, denn ich gebe im Winter Deutschkurse für die Gendarmerie, die
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