Tote Hunde beißen nicht: Bröhmann ermittelt wieder (German Edition)
versuche immer wieder, Kontakt zu meinem verwirrt wirkenden Vater aufzunehmen. Doch er winkt harsch ab und starrt mit leerem Blick auf einen Punkt in der Ferne.
«Papa, ist wirklich alles o.k. mit dir?»
«Ja, wieso denn nicht, Herrschaftszeiten noch mal? Das gehört für einen Polizisten zum Alltag. Sind die Angehörigen verständigt?»
Ich greife erneut nach seinem Arm, doch wieder schlägt er meine Hand weg.
«Kommen Sie», ruft darauf ein junger Kollege in deutlich zu großer Polizeiuniform zu uns und führt uns vom Tatort weg.
«Setzen Sie sich am besten erst mal dorthin», sagt er und deutet auf die Friedhofskapelle, in der wir uns von diesem Schock ein klein wenig erholen sollen. Wir folgen den Anweisungen, nehmen auf einer Außenbank der Kapelle Platz und schauen zu, wie die polizeilichen Arbeiten rasant vonstattengehen. Es wird fieberhaft telefoniert und gefunkt. Polizeiwagen treffen ein, andere fahren weg, und auch die Absperrarbeiten sind inzwischen in vollem Gange.
«Man wird sich gleich um Sie kümmern», sagt der junge Mann noch und zieht sich die zu weite Hose hoch.
«Unnötig», nuschelt mein Vater. «Ich bin Polizeipräsident, ich weiß, was zu tun ist. Sind die Angehörigen schon verständigt?»
Etwas irritiert nickt der junge Kollege und läuft zum Tatort zurück. Ich stehe auf und gehe ein paar Schritte, um meine Nerven zu beruhigen.
«Henning», ruft ein paar Minuten später hinter mir jemand.
«Das gibt’s doch gar nicht! Was machst du denn hier?»
Ich erkenne die Stimme sofort und drehe mich um. Tatsächlich, es ist Miriam Meisler!
Ich bin gleichermaßen fassungslos wie erfreut. Was für eine Überraschung. Miriam! Wir umarmen uns herzlich, dann begrüßt sie meinen Vater, der allerdings bloß abwesend vor sich hin nickt.
Miriam Meisler, meine alte Lieblingskollegin. Unglaublich, zwei Jahre ist es nun schon her, dass sie zu ihrem Freund nach Berlin gezogen ist und sich in Kreuzberg zur Kommissarin ausbilden ließ. Ein paar Monate hielten wir danach noch per Mail Kontakt, doch schon bald hörten wir nichts mehr voneinander. Wie das manchmal eben so ist. Wir arbeiteten damals sehr gern und eng zusammen. Vor zwei Jahren sogar einmal ein bisschen zu eng. Ich wurde gerade von Franziska verlassen, suhlte mich weinselig im Selbstmitleid, war ein einsamer Wolf, na ja, sagen wir mal Wölfchen, da wurden wir in dieser einen Nacht zueinandergetrieben. Es blieb bei dem einen Mal, und der Zwischenfall beeinträchtigte unsere Zusammenarbeit keinesfalls. Miriam ist Ende zwanzig, also immer noch sehr jung, doch in vielen Dingen kam sie mir schon damals reifer vor, als ich es jemals sein werde.
Sie hat sich in diesen beiden Jahren äußerlich nur wenig verändert, stelle ich fest. Noch immer ist sie äußerst schmal und zierlich und auch ihren dezenten, aber aparten New-Wave-Dings-Style hat sie nicht vollends aufgegeben. Die Haare sind etwas länger, die lange rote Strähne, die ihr damals noch übers kantige Gesicht fiel, musste in den letzten beiden Jahren dran glauben. Schminke ist weiterhin ihr Feind, ein Lidstrich war schon immer das höchste der Gefühle, und ihr leuchtender Blick hat noch das gleiche Feuer wie zu Vogelsberger Zeiten.
«Bist du jetzt
hier
im Einsatz?», frage ich sie und kann noch immer nicht fassen, sie hier unter diesen Umständen anzutreffen. «Ich dachte, du arbeitest in Kreuzberg?»
«War ich, ja, doch ich bin letztes Jahr hier nach Wilmersdorf gewechselt. Aber lass uns wann anders plaudern. Wenn wir mehr Zeit haben. Die Kollegen sagten mir, dass der Schuss euch beide nur knapp verfehlt hat?»
Ich nicke und erzähle ihr den Hergang.
Miriam schüttelt den Kopf. «Was sind denn das bitte für Zufälle? Das gibt’s doch gar nicht. Dass wir uns jetzt hier wiedertreffen. Unglaublich! Ich dachte, nur im Vogelsberg ist die Welt so klein.»
Ich stimme ihr zu und bemerke, dass auch meine Hände zu zittern beginnen und mir der Schweiß ausbricht. Nun hat er also auch mich erfasst, der Schock.
Ich setze mich wieder, atme so ruhig wie möglich und trinke aus einem Becher Wasser. Danach geht es etwas besser.
Aus der Ferne brüllt mit spitzer Stimme ein kleiner Mann.
«Mirrrriam, jetzt komm haltemal gschwind her. Wo bleibst du denn? Icke such dir schon die janze Zeit. Wir müssen die Bersonalien von dem Doden aufnehmen.»
Miriam berührt meine Hand und sagt kurz: «Mein Chef.»
«Wie redet
der
denn?»
«Wieso? Ach so, ja, er ist Mittelfranke, meint hier aber den
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