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Tote im Salonwagen

Tote im Salonwagen

Titel: Tote im Salonwagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Fandorin nicht sehen, doch anscheinend befand er sich im selben Zimmer, denn Grin, derseinen Dolch wieder verstaute, deutete mit der Hand zur Seite und sagte: »Dann rufen Sie jetzt an. Sagen Sie, es sei sehr dringend. Ein falsches Wort, und ich bringe Sie um.«
    »Ich bringe Sie um, ich bringe Sie um«, äffte Julie ihn nach. »Was bist du bloß für ein Langweiler. Wenn du wenigstens ein bißchen aus dir herausgehen würdest, schreien und mit dem Fuß aufstampfen, aber nein …«
    Frappierend, diese jähen Wechsel von Angst und Verzweiflung zu frechem Übermut! dachte Fandorin. Eine skurrile Person.
    Und Julie in ihrer Dreistigkeit setzte noch eins drauf.
    »Interessant, daß ich von dir gesiezt werde, und sie« – Julie deutete mit dem Kinn auf Nadel – »wird geduzt. Das läßt tief blicken … Ihr gebt ein lustiges Pärchen ab. Bei euren Schäferstündchen möchte man Mäuschen sein. Da klirrt es sicher gewaltig. Die Liebe zweier Panzerkreuzer!«
    Fandorin war über die losen Sitten im nihilistischen Milieu genügend aufgeklärt, um diese Eröffnung ungerührt zu schlucken; hingegen geriet Nadel auffällig in Rage. Bloß gut, daß sie stand, nicht über die Bomben gebeugt saß.
    »Was wissen Sie denn von Liebe!« rief sie mit hell tönender Stimme. »Ein Augenblick unserer Liebe ist mehr wert als all Ihre lächerlichen Amouren zusammengenommen!«
    Der schönen Julie muß eine Antwort auf der Zunge gelegen haben, doch Grin packte sie resolut bei der Schulter und schob sie zu dem unsichtbaren Telefon.
    »Wird’s bald?«
    Julie befand sich nun außerhalb von Fandorins Blickfeld; hören konnte er sie ausgezeichnet.
    »Ist dort das Fernamt? Fräulein, bitte die vierundvierzig zweiundzwanzig«, sprach eine Stimme ohne jeden Ausdruck.Sekunden später klang sie schon wieder ganz anders – energisch, geradezu herrisch.
    »Ist dort der Adjutant vom Dienst? Keller? Passen Sie auf, Keller, ich brauche den Flügeladjutanten Posharski. Und zwar sofort. Höchste Dringlichkeit … Julie. Das genügt, er weiß Bescheid … Ach so? … Ja, unbedingt.«
    Der Hörer knallte auf den Haken.
    »Er ist noch nicht da. Kommt spätestens in einer Viertelstunde, sagt sein Adjutant. Was nun?«
    »In einer Viertelstunde noch mal anrufen«, sagte Grin.
    In lautlosem Rückwärtsgang entfernte sich Fandorin von der Tür, machte kehrt und verließ das Haus zügig auf demselben Wege, wie er gekommen war.
    Fuchs und Schlitten standen noch an Ort und Stelle, nur Pelz und Mütze waren weg – da hatten wohl jemandem die Finger gejuckt.
     
    Dem flanierenden Sonntagspublikum auf dem Pretschistenski Boulevard bot sich ein bizarrer Anblick: Eine Schlittendroschke fegte vorüber, darin ein Herr der besseren Gesellschaft in Paradeuniform, aufrecht stehend, die Peitsche gegen das arme Pferdchen schwingend und wilde Pfiffe ausstoßend wie ein Räuberhauptmann.
     
    Er schaffte es knapp. Stieß mit Posharski in der Tür des Polizeipräsidiums zusammen. Der Fürst schien aufgekratzt und in Eile, die überraschende Begegnung erfreute ihn wenig.
    »Später, Erast, später!« rief er ihm zu, ohne stehenzubleiben. »Der alles entscheidende Moment steht bevor!«
    Doch der Staatsrat packte seinen hohen Vorgesetzten mit eisernem Griff am Ärmel, zog ihn zu sich heran.
    »Für Sie, Herr Posharski, dürfte der alles entscheidende Moment schon angebrochen sein. Lassen Sie uns in Ihr Zimmer gehen.«
    Fandorins rüdes Gebaren und der scharfe Ton machten Eindruck. Posharski sah ihn neugierig an.
    »Nanu? Sind wir neuerdings wieder per Sie? Am Blitzen deiner Augen kann ich sehen, daß es spannende Neuigkeiten gibt. Gut, gehen wir nach oben. Aber höchstens fünf Minuten. Ich habe einen unaufschiebbaren Termin.«
    Der Fürst ließ sich anmerken, daß ihm zu langem Palaver die Geduld fehlte. Er blieb stehen, bot auch Fandorin keinen Stuhl an, obwohl die Möbel im Kabinett inzwischen von ihren Schonbezügen befreit waren. Doch zum Sitzen hatte Fandorin ohnehin keine Lust – dafür war er viel zu sehr in Harnisch.
    »Sie sind ein Provokateur, ein Doppelspion, ein Hochverräter«, sprach er mit kalter Wut, ohne den Anflug eines Stotterns über alle P-, D- und V-Klippen hinwegsetzend. »Nicht Diana, sondern Sie haben die Terroristen der Kampfgruppe mit Briefen auf dem laufenden gehalten. Sie haben Chrapow auf dem Gewissen, Sie haben die Terroristen über das Treffen in Petrossows Badehaus informiert, und die Lage der Grube haben Sie absichtlich falsch angegeben, um mich

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