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Tote im Salonwagen

Tote im Salonwagen

Titel: Tote im Salonwagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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loszuwerden. Sie sind ein Verbrecher! Muß ich für meine Behauptungen noch Beweise vorbringen?«
    Der Ausdruck von Neugier verschwand nicht aus Posharskis Gesicht. Er zögerte mit einer Antwort.
    »Ich denke nicht«, sagte er nach einigem Überlegen. »Ich kann mir denken, daß du Beweise in der Hand hast, und über irgendwelche Bagatellen zu streiten fehlt mir die Zeit. Natürlich wüßte ich gern, wie du dich zu dieser Erkenntnisvorgegraben hast, aber das kannst du mir später immer noch erzählen. Aus gegebenem Anlaß verlängere ich unser Gespräch von fünf auf zehn Minuten, aber mehr ist wirklich nicht drin. Komm also bitte gleich zur Sache. Ich bin ein Provokateur, ein Doppelspion, ein Verräter, gut. Ich habe den Mord an Chrapow inszeniert und noch eine ganze Reihe Kunststückchen mehr, inklusive zweier Attentate auf mich selber. Ja, und? Was willst du?«
    Erast Fandorin war verdutzt. Er hatte damit gerechnet, auf Ausflüchte und hartnäckigen Widerstand zu stoßen. Deshalb brachte er die Frage, die er ganz zuletzt zu stellen vorgehabt hatte, nur zaghaft und nicht ohne Stottern hervor: »Ja, aber … W-w-… wozu denn? W-wozu hatten Sie diese ganze Intrige nötig?«
    Posharskis Antwort kam hart und überzeugt.
    »Weil ich der Mann bin, der Rußland retten kann. Ich bin klug, furchtlos und unsentimental genug dafür. Meine Gegner sind zahlreich und mächtig: Die Fanatiker der Rebellion auf der einen Seite, die stumpfen, trägen Rüsselgesichter in den Generalsuniformen auf der anderen. Lange Zeit hatte ich weder die nötigen Verbindungen noch die nötige Protektion. Mag sein, ich hätte es auch auf normalem Wege bis nach oben geschafft, doch es hätte viel zu lange gedauert, und diese Zeit haben wir nicht. Rußland hat keine Zeit mehr. Ich muß mich also sputen. Die KG ist mein Ziehkind. Ich habe diese Organisation aufgepäppelt, habe ihr einen Namen verschafft, eine Reputation. Und sie hat ihre Schuldigkeit für mich getan. Nun gehört ein Punkt hinter diese Geschichte. Heute ist der Tag, an dem ich Grin auslöschen werde. Der Ruhm, den ich diesem unbeugsamen Zeitgenossen habe zukommen lassen, fällt an mich zurück, bringt mich noch ein paar Treppchennach oben, dem Endziel ganz nahe. So viel zum Kern, kurz und schnörkellos. Ausreichend?«
    »Und all das taten Sie nur zu Rußlands Nutz und Frommen?« vergewisserte sich Fandorin. Der Sarkasmus, der in dieser Frage steckte, schien sein Gegenüber nicht zu erreichen.
    »Ja. Und damit selbstredend zu meinem eigenen. Rußland und ich, wir sind eins. Schließlich ist Rußland vor tausend Jahren von einem meiner Vorväter gegründet worden, und ein anderer vor dreihundert Jahren hat für seine Wiedergeburt gesorgt.« Posharski steckte die Hände in die Taschen, wippte auf den Absätzen. »Und denke ja nicht, daß ich deine Enthüllungen fürchte, Erast. Was kannst du mir schon damit anhaben? Du hast in Petersburg niemanden, der dich stützt. Dein Moskauer Pate ist vom Sockel gestoßen. Keiner wird dir glauben, keiner dich auch nur anhören. Außer indirekten Indizien und Spekulationen kannst du nichts vorweisen. Willst du dich an die Zeitungen wenden? Die drucken es ganz bestimmt nicht. Das hier ist gottlob nicht Europa. Ich habe einen Revolver in der Tasche, mußt du wissen«, Posharski senkte die Stimme vertraulich, »und er zielt auf deinen Bauch. Ich könnte dich erschießen. Gleich jetzt und hier, in meinem eigenen Kabinett. Ich könnte verlauten lassen, du wärest ein Helfershelfer der Terroristen, mit ihnen in Kontakt über deine kleine Jüdin, und hättest versucht, mich zu töten. Das glauben zu machen fiele mir in Anbetracht der Lage nicht schwer, es brächte mir vielleicht noch einen Orden ein. Aber ich mag keine Übertreibungen. Dich muß ich nicht töten – schon weil du mir bestimmt nicht gefährlich werden kannst. Du hast die Wahl, Erast: Entweder du spielst mein Spiel, und ich bestimme die Regeln, oder du machst dich lächerlich. Esgibt freilich auch noch einen dritten Weg, vielleicht ist er dir der genehmste: stillschweigend abzutreten. So könntest du dir die Würde bewahren, an der dir doch immer so viel liegt. Also, welchen Weg wirst du wählen? Mitspielen, aufmucken oder schweigen?«
    Der Staatsrat war blaß geworden, seine Brauen sprangen auf und nieder, das schmale Schnurrbärtchen zuckte. Spöttisch beobachtete ihn der Fürst, weidete sich an seinen inneren Kämpfen, geruhsam abwartend, welchen Ausgang sie nehmen

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