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Tote im Salonwagen

Tote im Salonwagen

Titel: Tote im Salonwagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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des Polizeidepartements n-nur Sie, Mylnikow, Subzow, Swertschinski und sein Adjutant in die Einzelheiten eingeweiht waren. Oberst Swertschinski hält es für möglich, daß eine sogenannte Mitarbeiterin Ihres Agentendienstes mit dem Decknamen Diana von den Sicherheitsmaßnahmen Kenntnis gehabt haben könnte. Sie seien mit ihr bekannt.«
    Burljajews Antwort kam schroff und bissig.
    »Das bin ich allerdings. Diese sogenannte Mitarbeiterin ist eine vortreffliche Kraft, so viel steht fest. Aber Swertschinskis Anspielungen sind vollkommen unzutreffend. Umgekehrt wird ein Schuh daraus! Wenn es einen gibt, der sich ihr gegenüber hätte verplaudern können, dann er. Er tanzt doch nach ihrer Pfeife!«
    »Soll das heißen, der Oberst ist … ihr Geliebter?« fragte Fandorin verblüfft und hatte sich das Wörtchen »auch« gerade noch verbeißen können.
    »Weiß der Geier!« blaffte der Oberstleutnant immer noch so ungehalten wie zuvor. »Wundern würde es mich gar nicht!«
    Fandorin war so perplex, daß er Mühe hatte, seine Gedanken zu ordnen.
    »Und ist sie denn wirklich so hübsch, diese Diana?«
    »Keine Ahnung! Ich habe ihr noch kein einziges Mal ins Gesicht gesehen.«
    Diese Formulierung klang einigermaßen sonderbar, was der Oberstleutnant selbst zu bemerken schien. »Diana zeigt niemandem von uns ihr Antlitz, müssen Sie wissen«, erläuterte er. »Die Treffen in dem konspirativen Quartier finden in beinahe völliger Dunkelheit statt, und noch dazu ist sie stets verschleiert.«
    »Das ist ja nicht zu fassen!«
    »Sie führt sich als romantische Heldin auf«, sagte Burljajew und verzog abschätzig den Mund. »Ich bin mir sicher, daß auch Swertschinski ihr Gesicht noch nicht gesehen hat. Andere Körperpartien schon eher, doch ihr Gesicht verbirgt sie wie eine türkische Haremsdame. Es war ihre eiserne Bedingung für die Zusammenarbeit mit uns. Sie hat gedroht: Bei den geringsten Anstalten unsererseits, ihr Inkognito zu lüften, würde sie jeglichen Kontakt abbrechen. Und es gab eine spezielle Order aus dem Departement, auf diese Bedingung einzugehen. Soll sie sich ruhig ein bißchen interessant machen, hieß es, Hauptsache, sie liefert uns Informationen.«
    Fandorin verglich im stillen die Art, in der Burljajew und Swertschinski von ihrer obskuren »Mitarbeiterin« sprachen: In dem, was sie sagten und wie sie es sagten, fanden sich unüberhörbare Analogien. Es schien so, als konkurrierten Gendarmerie und Geheimpolizei nicht nur in erkennungsdienstlichen Fragen miteinander.
    »Wissen Sie was, Oberstleutnant«, sagte Fandorin und bemühte sich ernst dreinzuschauen, »Sie machen mich auf diese g-geheimnisvolle Diana richtig neugierig. Setzen Sie sich doch bitte mit ihr in Verbindung und sagen Sie ihr, ich möchte sie baldigst kennenlernen.«

ZWEITES KAPITEL
    Ein stählerner Mann ruht aus
    Siebenhundertzweiundachtzig, siebenhundertdreiundachtzig, siebenhundertvierundachtzig …
    Ein drahtiger, muskulöser Mann mit unbewegter Miene, ruhigen grauen Augen und strenger Stirnfurche lag flach auf dem Parkettboden und zählte die Schläge seines Herzens. Das Zählen ging wie von selbst, ohne Beteiligung des Denkens und ohne selbiges zu stören. Im Liegen schlug sein Herz genau einmal pro Sekunde – das wußte er, das hatte er oft genug überprüft. Dem inneren Motor bei der Arbeit zuzuhören war eine alte Gewohnheit von ihm, noch aus der Strafkolonie. Sie war ihm so in Fleisch und Blut übergegangen, daß er manchmal in der Nacht mit einer vierstelligen Zahl im Kopf erwachte und wußte, er hatte nicht einmal im Schlaf aufgehört zu zählen.
    Diese arithmetische Übung hatte durchaus ihren Sinn, denn sie half das Herz zu disziplinieren, Willen und Ausdauer zu trainieren – vor allem aber gelang es mit ihrer Hilfe binnen einer Viertelstunde (also innerhalb von neunhundert Herzschlägen), die Muskeln zu entspannen und die Kräfte aufzufrischen, wozu einer sonst drei Stunden Tiefschlaf benötigte. Vor Zeiten einmal hatte der Mann lange ohne Schlaf auskommen müssen. Das war in der Strafkolonie von Akatui gewesen, irgendwelche Kriminellen hatten ihm an den Kragen gewollt. Am Tage trauten sie sich nicht, ihm zu nahezu kommen, sie warteten auf die Dunkelheit, und das ging so viele Nächte hintereinander.
    Die Vorliebe wiederum, sich auf harter Unterlage auszustrecken, war ihm schon seit frühester Jugend eigen. Damals hatte Grin (so nannten ihn die Genossen, seinen wirklichen Namen wußte heute keiner mehr) Askese betrieben und

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