Tote im Salonwagen
verfahren war.
Es blieb nur ein Ausweg: der Banküberfall.
Daß die Polizei mit der Terroristenjagd beschäftigt war, konnte ja auch von Vorteil sein. Denn es hieß, daß sie weniger Leute für die Routine übrig hatte. Zum Geldhüten beispielsweise.
Personal konnte er von Nadel bekommen.
Ganz ohne einen Experten ging es freilich nicht. Er mußte Julie telegrafieren, damit sie ihm ihren Joker ausborgte.
Vor dem Tor angekommen, stellte Grin sich hinter einen Laternenpfahl und wartete ab.
Diesmal nicht umsonst. Ein Mann, Typ: unscheinbarer Kaufmannsgehilfe, kam durch das Tor geflitzt, drehte den Kopf nach allen Seiten. Als er Grin bemerkt hatte, tat er so, als wartete er auf die Pferdebahn.
Lobastow war mißtrauisch. Und neugierig obendrein.
Aber das war kein Problem. Einen Spürhund abzuschütteln ein Kinderspiel.
Grin lief ein Stück die Straße entlang, bevor er in einen Hausflur einbog und stehenblieb. Als der Verfolger um die Ecke gerannt kam, stieß Grin ihm kurz und schnell die Faust vor die Stirn. Sollte der Mann doch für zehn Minuten einmal die böse Welt vergessen.
Die Stärke der Partei bestand darin, daß sie von den unterschiedlichsten Leuten unterstützt wurde – auch solchen, von denen man es nicht für möglich gehalten hätte. Einer dieser Paradiesvögel war Julie. Den Parteiasketen war sie ein Dorn im Auge. Grin gefiel sie.
Sie hatte die Farbe eines Smaragden: heiter und unbeschwert. Immer vergnügt, unternehmungslustig, immer gut gekleidet, Düfte gingen von ihr aus, die nicht von dieser Welt waren. In Grins metallischem Herzen schlug sie einen seltsamen Ton an, der alarmierend und angenehm zugleich war. Allein schon der Name – Julie! – voller Licht und Wohlklang. Wäre Grin ein anderes Schicksal beschieden gewesen, er hätte sich in diese Frau vermutlich verliebt.
Unter Parteigenossen war es eigentlich verpönt, viel über die eigene Vergangenheit zu reden, doch Julies Geschichte kannten alle – sie machte aus ihrer Biographie keinen Hehl.
Als Halbwüchsige hatte sie ihre Eltern verloren und einen Onkel zum Vormund bekommen. Ein hochgestellter Beamter in gereiften Jahren, den, mit Julies Worten zu sprechen, auf seine alten Tage der Hafer stach: Das ihm anvertraute Erbe brachte er durch, dem Zögling raubte er die Unschuld, und selbst fiel er alsbald einer fortschreitenden Paralyse anheim. Die zarte Julie blieb zurück ohne einen Heller in der Tasche, ohne Dach überm Kopf, dafür mit solider sinnlicher Erfahrung. Karriereaussichten konnte es für sie nur in einer einzigen Richtung geben: im horizontalen Gewerbe, für das sie außerordentliches Talent bewies. Mehrere Jahre lebte sie als Maitresse, wechselte von einem gut betuchten Protegé zum nächsten. Bis Julie von den »Dicken und Alten« die Nase voll hatte und beschloß, sich auf die eigenen Füße zu stellen. Ihre Geliebten wählte sie von nun an selbst, sie warenzumeist schlank und jedenfalls nicht alt, und sie nahm kein Geld von ihnen, denn ihr Auskommen hatte sie durch die »Agentur«.
In dieser ließ sie ihre Freundinnen arbeiten, von denen manche Prostituierte wie sie, andere hingegen ehrbare Damen waren, die entweder auf einen Nebenverdienst oder schlicht auf Abenteuer aus waren. Da Julies Freundinnen ausnahmslos hübsch, verspielt und liebeshungrig waren, außerdem die Regeln der Diskretion strikt befolgten, wurde die Firma unter den Bonvivants der Hauptstadt sehr schnell populär.
Voreinander aber und erst recht vor der fröhlichen Chefin gab es keine Geheimnisse, und da unter den Kunden nicht selten hohe Beamte, Generäle, gar auch führende Köpfe aus dem Polizeiapparat waren, gelangte Julie an Informationen der allerverschiedensten Art, darunter solche, die für die Partei von großer Wichtigkeit waren.
Nur eines wußte in der Organisation keiner: Was das fidele Frauenzimmer dazu bewegen mochte, der Revolution zu Diensten zu sein. Grin fand daran allerdings gar nichts Besonderes. Julie war – nicht anders als jede beliebige Magd, Bettlerin oder rechtlose Spinnerin in der Fabrik – ein Opfer der herrschenden sozialen Ordnung in all ihrer Verruchtheit. Sie kämpfte gegen das Unrecht mit den Mitteln, die ihr zu Gebote standen. Und sie war darin nützlicher als manch hohler Phrasendrescher aus dem ZK.
Von den kostbaren Auskünften abgesehen, wußte Julie für die Gruppe in kürzester Zeit das geeignete Quartier zu finden, half des öfteren mit Geld aus und knüpfte, da sie nun einmal weitreichende
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