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Tote im Salonwagen

Tote im Salonwagen

Titel: Tote im Salonwagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Waffen in Bristol inklusive Fracht. Vierzigtausend Rubel sind dem Obmann der Odessaer Zentrale zugesagt, der die Flucht von Genossen organisiert. Dazu noch die laufenden Ausgaben … Ohne Geld in der Kasse ist die gesamte Parteiarbeit lahmgelegt. Man erwartet von euch umgehend Antwort: ob die Kampfgruppe unter den momentanen Umständen in der Lage ist, die fehlende Summe zu besorgen.«
    Grin ließ sich mit der Antwort Zeit – er wog ab.
    »Weiß man, wer geplaudert hat?«
    »Nein. Bekannt ist nur, daß ein Vizedirektor aus dem Polizeidepartement, Oberst Posharski, die Operation persönlich geleitet hat.«
    Wenn das so war, durfte Grin eigentlich gar nicht ablehnen. Er selber hatte Posharski auf der Apothekerinsel entwischen lassen – jetzt hatte er für seinen Fehler zu bezahlen.
    Doch ein neuer Überfall war unter den gegebenen Bedingungen viel zu riskant.
    Erstens wußte man nicht, was mit Rachmet war. Wenn sie ihn nun gefaßt hatten? Wie er sich bei einem Verhör anstellen würde, ließ sich schwer voraussagen. Er war unberechenbar.
    Zweitens hatte Grin zu wenig Leute. Eigentlich nur Jemelja.
    Und drittens waren wohl derzeit so ziemlich alle Polizeidienste im Einsatz, um die KG zu erwischen. In der Stadt wimmelte es von Gendarmen, Agenten, Spitzeln.
    Nein, das Risiko war unzulässig hoch. So etwas tat man nicht.
    Als hätte sie seine Gedanken erraten, sagte Nadel: »Wenn noch Leute gebraucht werden – ich hätte welche. Unsere Moskauer Einheit. Die sind zwar noch unerfahren, bis jetzt haben sie nur Versammlungen bewacht, aber die Jungs sind mutig, und bewaffnet sind sie auch. Wenn sie hören, es ist für die KG, dann gehen die durch Feuer und Wasser. Mich können Sie übrigens auch einsetzen. Ich schieße ganz gut. Und weiß, wie man Bomben baut.«
    Zum ersten Mal überhaupt sah Grin seiner Begleiterin richtig in die Augen, die ernst waren und stumpf, wie mit Asche bestäubt. Und er sah, daß diese Nadel ihm der Farbe nach ähnelte: ein kaltes Grau. Was war es bei dir, was dich so abgeklärt hat? fragte er sie im stillen. Oder bist du von Geburt an so?
    Laut sagte er: »Durch Feuer und Wasser ist gar nicht nötig. Jedenfalls vorläufig. Ich gebe Bescheid. Erst einmal brauche ich ein Quartier. Notfalls auch ohne Telefon. Aber ein zweiter Ausgang muß sein. Heute abend um sieben, gleiche Stelle. Und mit Rachmet, falls er auftaucht, seien Sie vorsichtig. Den muß ich erst abklopfen.«
    Er hatte eine Idee, wo man das Geld herbekommen konnte. Ohne einen Schuß.
    Den Versuch war es wert.
     
    Vor dem Tor zur Lobastowschen Manufaktur entließ Grin den Kutscher. Wie üblich wartete er eine Minute, ob nicht noch ein Schlitten um die Ecke kam, mit einem Spitzel darin – und erst als er sicher war, nicht verfolgt worden zu sein, betrat er das Fabrikgelände.
    Auf dem Weg zum Hauptkontor, vorbei an den Werkhallen, den zugeschneiten Blumenkübeln, der hübschen kleinen Kirche, sah er sich neugierig um.
    Lobastow hielt seinen Laden wirklich in Schuß. Selbst in den besten Fabriken Amerikas bekam man eine derart mustergültige Ordnung selten zu sehen.
    Die Arbeiter, die ihm unterwegs begegneten, liefen im Eilschritt, nicht so, wie man es von Russen gewohnt war. Keines der Gesichter trug die Spuren des Alkohols, und das am Montagmorgen. Es hieß, wer nach Schnaps roch, bekam bei Lobastow sofort die Tür gezeigt. Dafür seien die Löhne hier doppelt so hoch wie in anderen Manufakturen, es gebe kostenlose Werkswohnungen und fast zwei Wochen Urlaub mit halber Bezahlung.
    Das mit dem Urlaub war vermutlich ein Gerücht, doch daß in Lobastows Fabriken nicht länger als neuneinhalb Stunden täglich gearbeitet wurde und sonnabends gar nur acht, das wußte Grin genau.
    Wären alle Kapitalisten wie Lobastow, man müßte gar keine Brände legen! Dieser überraschende Gedanke ging dem stählernen Mann durch den Kopf, als er das massive Klinkergebäude sah, an dem ein Schild mit der Aufschrift
Werksbibliothek
hing. Der Gedanke war allerdings blöd, denn es gab in ganz Rußland bloß den einen Lobastow.
    Im Vorzimmer des Kontors schrieb Grin etwas auf einen Zettel und bat, ihn dem Chef zu überbringen. Lobastow ließ sogleich bitten.
    »Guten Tag, Herr Grin.«
    Der gedrungene kleine Mann mit dem Bauerngesicht, zu dem das gepflegte Spitzbärtchen so gar nicht passen wollte, kam hinter seinem ausladenden Schreibtisch hervor und drückte dem Gast kräftig die Hand.
    »Was kann ich für Sie tun?« fragte er und kniff forschend die flinken

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