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Tote im Salonwagen

Tote im Salonwagen

Titel: Tote im Salonwagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Verbindungen in alle Schichten der Gesellschaft hinein pflegte, spielend den Kontakt zu Leuten, die man brauchte.
    Julie war es auch gewesen, die ihm den Joker zugeführt hatte: eine hochinteressante Persönlichkeit, kaum weniger markant als sie selbst.
    Tichon Bogojawlenski war Sohn des Oberpriesters einer der großen Petersburger Kirchen – doch weiter hätte der Apfel vom Stamme seines Erzeugers kaum fallen können. Wegen Gotteslästerung flog er vom geistlichen Seminar, wegen fortgesetzter Prügeleien vom Gymnasium und wegen Diebstahl aus der Realschule – am Ende wurde aus ihm ein angesehener Räuber. Sein Vorgehen war forsch, geradlinig, doch phantasievoll. Bislang hatte die Polizei ihn kein einziges Mal zu schnappen vermocht.
    Als die Partei im Dezember letzten Jahres in akuten Geldnöten war, hatte Julie sanft errötend einen Tip gegeben: »Grin, ich weiß, Sie hören es nicht gern, aber ich habe da neulich einen netten jungen Mann kennengelernt. Ich denke, er könnte Ihnen nützlich sein.«
    Was das Wort »kennenlernen« in Julies Wortschatz bedeutete, wußte Grin bereits, und auch von dem Wort »nett« ließ er sich nicht täuschen – über alle ihre flüchtigen Liebhaber urteilte sie so. Genauso aber wußte er, daß Julie ihn nicht umsonst auf jemanden aufmerksam machte.
    Binnen zwei Tagen hatte Joker das passende Objekt auserkoren, einen Plan entworfen, die Rollen verteilt, und der Überfall lief wie am Schnürchen. Beide Seiten schieden hochzufrieden voneinander: Die Partei hatte ihre Kasse aufgefüllt, der »Experte« seinen gebührenden Anteil erhalten – ein Viertel des expropriierten Kapitals.
    Am Mittag sandte Grin zwei Telegramme ab. Das eine:
Auftrag angenommen. Wird schnellstmöglich ausgeführt. G.
ging nach Petersburg, postlagernd. Das andere an Julies Adresse:
In Moskau gibt es Arbeit für den Pfaffen. Gleiche Bedingungen wie im Dezember. Parzelle seiner Wahl. Erwarte ihn morgen mit dem Neunuhrzug. Bin am Bahnsteig. G
.
     
    Einmal mehr verzichtete Nadel auf alle Grußformeln. Formalitäten waren ihr anscheinend genauso zuwider wie ihm.
    »Rachmet ist aufgetaucht. Im Briefkasten war ein Zettel. Da!«
    Grin faltete das Blatt auseinander und las.
     
    Suche Anschluß an meine Leute. Warte in der Teestube Susdal, Marossejka, von sechs bis neun. Rachmet.
     
    »Ein guter Ort«, sagte Nadel. »Da verkehren nur Studenten, jeder Fremde fällt sofort auf, weshalb Agenten sich dort gar nicht erst blicken lassen. Der Treffpunkt ist mit Bedacht gewählt, damit sich für uns leichter prüfen läßt, ob er Spitzel im Schlepp hat.«
    »Und am Briefkasten waren keine?«
    Ihre dünnen Brauen schnellten nach oben.
    »Sie sind arrogant«, sagte sie ungehalten. »Daß Sie in der KG sind, gibt Ihnen nicht das Recht, alle anderen für Idioten zu halten. Natürlich habe ich achtgegeben. Ich nähere mich nie einem Briefkasten, bevor ich nicht sicher bin, daß die Luft rein ist. Werden Sie hingehen zu Rachmet?«
    Grin schwieg, er war noch unschlüssig.
    »Quartier?«
    »Habe ich. Sogar mit Telefon. Bei Rechtsanwalt Simin. Er selbst ist in Warschau zu einem Prozeß, sein Sohn gehört zu unserem Trupp. Arseni Simin. Zuverlässig.«
    »Gut. Wieviel Leute?«
    Nadel konnte nicht an sich halten.
    »Hören Sie, wieso reden Sie so merkwürdig mit mir? Die Wörter fallen Ihnen aus dem Mund wie Schrauben. Wollen Sie damit Eindruck schinden, oder wie? Was soll das heißen, wieviel Leute? Was für Leute? Wo?«
    Er wußte, daß er hätte anders reden sollen – doch er konnte nicht. In seinem Kopf bildeten sich die Gedanken rank und schön, und ihr Sinn leuchtete vollkommen ein. Doch sobald sie nach außen dringen, sich zu Sätzen formen sollten, fiel die Schönheit von ihnen ab wie eine Schale. Übrig blieb einzig der Kern. Und daß manchmal gar zuviel abfiel, mochte stimmen.
    »In Ihrem Trupp«, fügte er ergeben hinzu.
    »Sechs, für die ich die Hand ins Feuer legen kann. Erstens Arseni – er studiert an der Universität. Zweitens Splint, ein Gießer mit …«
    »Das hat Zeit. Erzählen Sie mir das, wenn ich sie vor mir habe. Gibt es einen Hintereingang? Nach wo?«
    Sie runzelte die Stirn, brauchte wieder einen Moment, bevor sie verstand.
    »Ich nehme an, Sie reden vom Susdal? Den gibt es. Da ist ein Durchgang, über den man sich zur Chitrowka absetzen kann.«
    »Ich gehe hin. Allein. Entscheide je nach Lage. Zwei Leute von euch sollten dasein, besser drei. Möglichst kräftige. Verlasse ich den Raum mit ihm zusammen

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