Tote im Salonwagen
Mylnikow mit seinen Agenten allein ist da überfordert.«
Es war nicht das erste Mal an diesem Abend, daß der Oberst einen nützlichen Vorschlag anzubringen versuchte, der Fürst hatte ihn bis dahin geflissentlich überhört. Nun aber brach der Groll aus Posharski hervor.
»Sie sollten lieber den Mund halten!« brüllte er. »Es ist Ihre Behörde, die in der Stadt für Ordnung zu sorgen hätte! Diesem Saftladen! Wollten Sie nicht die Bahnhöfe kontrollieren? Tun Sie lieber das! Und zwar beide! Sehr wahrscheinlich werden die Banditen versuchen, das Raubgut abzutransportieren, und am ehesten nach Petersburg, um die Parteikasse zu füllen. Passen Sie auf, Swertschinski, wenn die Ihnen dort auch noch durch die Lappen gehen, dann kriegen Sie von mir gehörig eins auf die Mütze! Abtreten!«
Der Oberst war leichenblaß geworden und maß Posharski mit einem langen Blick, bevor er schweigend zur Tür ging. Sein Adjutant, Oberleutnant Smoljaninow, stürzte Hals über Kopf hinterdrein.
Im Vorzimmer stießen die beiden mit einem glückstrahlenden Mylnikow zusammen.
»Wir haben ihn!« rief er noch auf der Schwelle. »Er ist identifiziert! Eine Registratur aus dem letzten Jahr. Der Mann heißt Arseni Simin, ist Sohn eines Rechtsanwalts. Mjasnizkaja, im eigenen Hause.«
Es wurde so still, daß man den hechelnden Atem des verdutzten Mylnikow hörte.
Fandorin mußte sich abwenden, weil er fürchtete, der Fürst könnte die Schadenfreude in seinen Augen lesen. Und wenn schon nicht Schadenfreude, so doch eine instinktive Befriedigung, die sich nicht verhehlen ließ, obgleich er sich ihrer natürlich im nächsten Augenblick schämte.
»Soso«, versetzte der Fürst gedehnt, mit tonloser Stimme. »Dann waren wir auch hier auf dem Holzweg. Prost Mahlzeit, meine Herren. Wir sind so schlau wie zuvor.«
Nach Hause gekommen, schaffte es Fandorin gerade so, den Gehrock gegen einen Frack mit weißer Fliege einzutauschen, dann wurde es Zeit, Esfir abzuholen. Er machte sich auf zu Litwinows Haus in der Trjochswjatskaja, das in Moskau jedem ein Begriff war.
Der pompöse Marmorpalazzo, erst vor wenigen Jahren erbaut, wirkte wie aus Venezia in die stille kleine Straße versetzt, die angestammten Adelsvillen mit den bröckelnden Säulen und immergleichen Dreispitzdächern bedrängend und in den Schatten stellend. Auch jetzt, zu vormitternächtlicher Stunde, da die benachbarten Anwesen von der Finsternis verschluckt waren, strahlte und funkelte Litwinows Haus gleich einem Eispalast aus dem Märchen: das luxuriös ausgestattete Portal im Licht elektrischer Lampen, wie es die neueste amerikanische Mode war.
Vom Reichtum seines Eigentümers hatte der Staatsrat viel gehört. Litwinow übte sich in allerlei Wohltätigkeit, förderte die russischen Künste und füllte auch die Opferstöcke der Kirchen fleißig – dafür, daß er erst vor kurzem zum Christentum konvertiert war, suchte er mit übergroßerFrömmigkeit Buße zu tun. Dennoch begegnete man dem Millionär in der feinen Moskauer Gesellschaft mit ironischer Geringschätzung. Witzchen machten die Runde: Angeblich sollte Litwinow, nachdem er für die Unterstützung von Waisenkindern einen Orden verliehen bekommen hatte, der zum Adelsrang vierter Klasse berechtigte, seinen Bekannten nahegelegt haben, ihn künftig mit Exzellenz anzureden, um sich an »Awessalom Efraimowitsch« nicht die Zunge zu brechen. Zwar empfing man Litwinow in den besten Moskauer Häusern – jedoch nicht ohne vor den übrigen Gästen, hinter vorgehaltener Hand und wie zur Rechtfertigung, den alten Spruch zu bemühen: Ein getaufter Jude sei ein beschnittener Christ.
Beim Eintreten in das weiträumige Vestibül – Carrara-Marmor, Kristallkronleuchter, gigantische Spiegel, Monumentalgemälde mit Szenen aus der russischen Geschichte – kam Fandorin allerdings der Gedanke, daß, wenn Awessalom Litwinows Finanzgeschäfte sich weiterhin so erfolgreich entwickelten, das Baronat eine Frage der Zeit und das ironische Gewisper spätestens dann verstummt sein würde – denn für Leute, die nicht einfach bloß reich, sondern durch unermeßlichen Reichtum geadelt waren, gab es sozusagen keine Nationalität.
Dem majestätisch posierenden Lakaien, der noch zu später Stunde im golddurchwirkten Kamisol und mit gepuderter Perücke ausharrte, brauchte Fandorin nur seinen Namen und nicht erst das Anliegen seines Besuches zu nennen.
»Zu Diensten, der Herr!« schnarrte der Lakai mit einer zeremoniellen Verbeugung – wie sich
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