Tote im Salonwagen
das ausnahm, mußte er früher im Palais eines Großfürsten, wenn nicht noch höheren Orts gedient haben. »Das Fräulein wird sogleich herunterkommen.Wenn Hochgeboren so lange im Diwanzimmer Platz zu nehmen belieben?«
Hochgeboren beliebten durchaus nicht, und der Lakai eilte (dies freilich nur, soweit es seine Erhabenheit zuließ) die strahlend weiße Treppe hinauf in den ersten Stock. Wenig später kam von dort ein Herr herabgehüpft: klein und flink, federnd wie ein Gummiball, mit lebhaftem Mienenspiel, der Haarkranz akkurat über den kahlen Schädel gekämmt.
»Das freut mich, das freut mich unheimlich, daß Sie uns beehren!« fing er noch auf der Treppe zu schnattern an. »Sie sind in aller Munde, man lobt Sie, lobt Sie in den höchsten Tönen … Freut mich ungemein, daß unser Firalein so eine hochangesehene Bekanntschaft pflegt, sonst tauchen hier, mit Verlaub, nur wild behaarte Kerle auf, mit Dreck an den Stiefeln und Bierkutschermanieren … Das macht die Jugend, ich weiß, ich weiß. Und ich hab immer gesagt, das geht vorüber. Ich bin übrigens Litwinow, und Sie, mein lieber Herr Fandorin, brauchen sich nicht vorstellen, Sie sind ja doch eine Berühmtheit.«
Den Staatsrat wunderte es ein wenig, daß der Bankier bei sich zu Hause im Frack und mit angelegtem Orden herumlief – wahrscheinlich war er gleichfalls irgendwo eingeladen. Zum Pfannkuchenessen bei Dolgorukoi aber gewiß nicht, denn dafür mußte Awessalom Efraimowitsch erst noch Baron werden.
»Nein, welche Ehre für unser Firalein, zum privatimen Essen bei Seiner Erlaucht, das freut mich, ach, wie mich das freut.« Jetzt erst war der Hausherr bei seinem Gast unten angekommen und reichte ihm seine weiße, weiche Hand. »Freut mich außerordentlich, Sie kennenzulernen. Wir haben donnerstags unseren Jour fixe und wären von Herzenfroh, Sie begrüßen zu dürfen. Aber was rede ich, was geht Sie ein Jour fixe an, kommen Sie einfach, wann es Ihnen genehm ist. Meine Frau und ich ermuntern unser Firalein sehr zu dieser Beziehung.«
Die letzte Äußerung in ihrer Einfalt brachte den Staatsrat in einige Verlegenheit. Die Verwirrung nahm zu, als er bemerkte, daß eine zu den hinteren Gemächern führende Tür einen Spaltbreit offenstand und dahinter jemand war, der ihn aufmerksam beobachtete.
Doch da kam Esfir die Treppe herabgeschritten – und das in einer Garderobe, die Fandorin augenblicklich alle Peinlichkeit vergessen ließ, den rätselhaften Späher ebenso.
»Papa! Du hast ja schon wieder dieses Geklimper angehängt!« rief sie erbost. »Nimm das sofort ab, sonst denkt er noch, du gehst ins Bett damit! Und höre ich recht, daß er dich auf seinen Jour fixe eingeladen hat, Erast? Wehe, du gehst da hin. Du bringst das fertig. Aha!« Esfir hatte die offenstehende Tür bemerkt. »Mama horcht. Vergeude nicht deine Zeit, ich heirate ihn sowieso nicht!«
Spätestens hier wurde klar, wer in diesem Haus das Sagen hatte. Die Tür ging augenblicklich zu, während Papachen erschrocken die Hand auf den Orden legte und zaghaft eine Frage stellte, die auch Fandorin sehr beschäftigte: »Firalein, bist du sicher, daß man in diesem Aufzug vor Seiner Erlaucht erscheinen darf?«
Mademoiselle Litwinowa hatte ihr kurzes schwarzes Haar mit einem goldenen Netz umspannt, wodurch es schien, als steckte ihr Kopf in einem blitzenden Helm; eine rubinrote Tunika von entfernt griechischem Schnitt war in der Taille mit einem breiten Brokatband gegürtet und floß von da in vielen Falten zu Boden; das Erschütterndste aber war derAusschnitt, der sich schier bis zu besagter Taille hinabzog – erschütternd nicht so sehr der Tiefe wegen, sondern weil er erkennen ließ, daß Esfir weder Mieder noch Korsett trug.
»So hieß es doch in der Einladung: Die Damen sind frei in der Wahl ihrer Kleider. Oder« – ein flatternder Blick hin zu Fandorin – »steht es mir etwa nicht?«
»Es steht dir. Sogar sehr«, erwiderte Fandorin, der die Wirkung voraussah, in aller Ergebenheit.
Die Wirkung übertraf allerdings seine ärgsten Befürchtungen.
Zum Pfannkuchenschmaus beim Generalgouverneur pflegten die Herren zwar nicht in Uniform, jedoch im schwarzen Frack mit weißer Fliege zu erscheinen, die Damen in offiziösen Farbtönen von Weiß bis Grau. Vor diesem grafischen Hintergrund nahm Esfirs Purpurtracht sich aus wie eine frische rote Rose auf altem Märzschnee. Und noch ein weiterer Vergleich fiel Fandorin ein: Hier hatte sich ein Flamingo in einen Hühnerstall verirrt.
Um
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