Tote im Salonwagen
Mongolenhorden gegen die christlichen Ordensritter. In ihm werden keine Parlamentäre ausgeschickt, keine Konventionen unterzeichnet, keine Freilassungen auf Ehrenwort bewilligt. Hier wird gnadenlos vorgegangen, mit allen Finessen der asiatischen Kunst: Da wird flüssiges Blei in Gurgeln gekippt, da wird skalpiert, da werden Babys erschlagen. Daß unser Agent Schwerubowitsch mit Schwefelsäure begossen wurde, ist Ihnen zu Ohren gekommen? Und der Mord an General von Gejnkel? Sie haben sein Haus in die Luft gesprengt, worin sich außer dem General – ein ausgemachter Schurke, nebenbei gesagt – auch noch die Gemahlin, die drei Kinder und die Dienerschaft befanden. Nur die siebenjährige Tochter hat überlebt, die Druckwelle hat sie vom Balkon geschleudert. Wirbelsäule gebrochen, Bein zerschmettert, mußte amputiert werden. Wie finden Sie einen solchen Krieg?«
»Und Sie, ein Hüter der Ordnung, sind bereit, bei so etwasmitzumischen? Gleiches mit Gleichem zu vergelten?« fragte Fandorin erschüttert.
»Ja, was denn, wäre es Ihnen lieber, wenn wir kapitulierten? Damit die wildgewordene Meute auch weiterhin die besten Männer Rußlands auf die Forken spießt, ihre Häuser abfackelt? Kleine Robespierres die Städte im Blut ertrinken lassen? Auf daß unser Staatswesen um drei Jahrhunderte zurückgeworfen werde, der Menschheit als abschreckendes Beispiel dienend? Ich bin bestimmt kein Freund von pathetischen Worten, lieber Fandorin, aber das eine sage ich Ihnen: Wir sind der schmale Vorposten, der allein die blindwütige Gewalt noch hemmt. Wird er überrollt, so hält sie keiner mehr auf. Hinter uns
ist
keiner mehr. Nur ein paar Damen mit Hut. Häubchen tragende Weiblein. Adelsfräulein à la Turgenjew. Knäblein in Matrosenanzügen. Die gesittete kleine Welt, die vor kaum einhundert Jahren, der Weisheit und Wohltätigkeit unseres Zaren Alexander sei Dank, inmitten der skythischen Weiten erstanden ist.«
Der Fürst brach seine leidenschaftliche Rede ab, von der Aufwallung der Gefühle augenscheinlich selbst verwirrt, und wechselte brüsk das Thema.
»Weil wir gerade bei Mitteln und Methoden sind … Mußte das sein, lieber Fandorin, daß Sie mir einen Hermaphroditen ins Bett legen?«
Fandorin beschloß, sich verhört zu haben.
»Pardon, wie bitte?«
»Kleiner Scherz, vergessen Sie’s. Gestern abend im Hotel, ich komme aus dem Restaurant zurück in mein Appartement, betrete das Schlafzimmer – und was sehen meine Augen? Gütiger Gott! Im Bett liegt eine entzückende Dame im hauchzarten Negligé, mit entblößter Brust oberhalb der Decke, überaus reizend. Ich versuche sie hinauszukomplimentieren –aber sie will nicht gehen. Sekunden später eine mustergültige Invasion: Reviervorsteher, Schutzleute, und der Portier schreit in künstlicher Aufregung: Wir sind ein anständiges Haus! Unterdessen sehe ich schon den Reporter vom Flur hereinschleichen, mit einem Fotografen im Schlepp. Aber passen Sie auf, das Beste folgt erst noch. Plötzlich kommt mein Damenbesuch aus dem Bett gesprungen und offenbart – herrje, das hat die Welt noch nicht gesehen! – Geschlechtsmerkmale in doppelter Ausführung,
tout ensemble
. Eine stadtbekannte Persönlichkeit, wie sich herausstellt, ein gewisser Herr – respektive eine gewisse Frau – Koko. Beliebt bei Gourmands mit Sinn fürs extravagante Amüsement. Mein Kompliment, Fandorin, hervorragend eingefädelt, das muß ich zugeben. Hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut. Mich lächerlich zu machen, ins Zwielicht zu rücken – das ist das sicherste Mittel, um die Ermittlungen wieder in die Hand zu bekommen. Sittenverderbnis ist das Letzte, was der Zar bei seinen Dienern duldet. Da kann ich mir das Monogramm gleich selber von den Epauletten trennen und meinen Hut nehmen. Eine wirklich exzellente Idee!« Posharski tat begeistert. »Aber ich bin ja auch nicht von gestern, nicht wahr. Derlei Kunststücke lasse ich mir oft genug selber einfallen, wenn es sein muß, das haben Sie am Beispiel unseres Rachmet alias Gwidon gesehen. Und, mein lieber Fandorin, das Leben hat mich Argwohn gelehrt. Beim Verlassen des Zimmers hinterlasse ich an der Tür stets irgendein unauffälliges Zeichen, und der Dienerschaft ist das Betreten in meiner Abwesenheit strengstens untersagt. So genügte ein Blick, um zu sehen: Aha, das Haar ist gerissen! Und für derlei Fälle habe ich meine Leute aus Petersburg dabei, die in den Zimmern nebenan logieren. Die habe ich mobilisiert, und wir sind als Abordnung bei mir
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