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Tote im Salonwagen

Tote im Salonwagen

Titel: Tote im Salonwagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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spätabends wieder. Aber wahrscheinlich werden Sie nicht aufgehalten. Kriegen nur einen Spitzel angehängt. Den müssen sie loswerden und untertauchen. Sagen Sie den Genossen, daß ich Ihnen befohlen habe, in den Untergrund zu gehen.«
    Der Gastgeber war so hart im Nehmen wie vermutet. Er zögerte kaum einen Moment, stellte keine Fragen. Entnahm der Truhe irgendein Bündel, schob es sich unter den Mantel und ging. Lief, ohne zu eilen, den Weg zurück zum Marjinski.
    Darum also kommt hier keiner vorbei! dachte Grin. Geeignete Orte zum Ansitzen gab es für die Gendarmen im Umkreis reichlich – Schuppen und Lagerhäuser ohne Zahl. Gut, daß er seitlich von Fenster und Gardine saß, sonst schaute er jetzt wohl in mehrere Ferngläser.
    Wie um seine Ahnung zu bestätigen, flammte im Dachgeschoß der nächstgelegenen Werkstätten für kurze Zeit ein helles kleines Licht auf. Solche Lichter hatte Grin auch vorhin schon gesehen, sich aber nichts weiter dabei gedacht. Das sollte ihm eine Lehre sein.
    Es ging auf halb sechs. Der Güterzug nach Petersburg, in dem der Waggon mit Lobastows Farbsäcken mitfuhr, war schon unterwegs. In fünf Minuten würde Julies D-Zug abfahren. Stieglitz, den er losgeschickt hatte, um zu kontrollieren, ob sie auch wirklich einstieg, war sicher bald zurück. Natürlich würde sie einsteigen, wieso nicht. Sie würde den Güterzug überholen und morgen, wenn er in Petersburg eintraf, an Ort und Stelle sein, die Säcke in Empfang nehmen. Dann hatte die Partei wieder Geld. Falls die KG diese Nacht nicht überlebte, war es jedenfalls nicht umsonst gewesen.
    Aber vielleicht überlebte sie ja. Das wollte man erst noch sehen. Wer gewarnt ist, ist gewappnet, hieß ein altes russisches Sprichwort.
    Apropos, hatten sie eigentlich genug Waffen?
    Grin zog die Stirn kraus, denn ihm fiel ein, daß ihr Bombenvorrat in der Wohnung des Rechtsanwalts zurückgeblieben war. Mit den Revolvern allein kamen sie nicht weit. Einbißchen Sprenggelatine hatten sie noch und ein paar Zünder, doch weder Hülsen noch Füllmasse.
    »Jemelja!« rief er. »Zieh dich an, es gibt Arbeit.«
    Der Angesprochene hob die kleinen Augen aus seinem
Graf von Monte Christo
– das einzige Buch, das im Haus zu finden gewesen war.
    »Einen Moment noch, ja? Ist grad so spannend. Nur noch das Kapitel zu Ende.«
    »Dazu ist nachher Zeit.«
    Grin erläuterte die Situation.
    »Du gehst dort drüben in den Laden und kaufst zehn Büchsen Schweinefleisch und zehn Büchsen Tomatenpaste. Außerdem Zweizollschrauben. Sagen wir, drei Pfund. Langsam gehen, nicht umdrehen. Sie werden dich in Ruhe lassen. Falls nicht, schieß wenigstens einmal, damit ich Bescheid weiß.«
    Grin hatte sich nicht geirrt. Jemelja ging los und kam mit den Einkäufen wieder, kurz darauf traf auch Stieglitz ein. Julie sei losgefahren, sagte er. Das war gut.
    Bis Mitternacht war noch viel Zeit, sie konnten sich in Ruhe vorbereiten. Jemelja bekam die Erlaubnis, in seinem Buch vom Grafen weiterzulesen – für Feinmechanikerarbeiten waren seine Finger ohnehin zu plump. Grin ließ Stieglitz zur Hand gehen.
    Als erstes öffneten sie mit dem Messer alle zwanzig Konservenbüchsen und kippten den Inhalt in den Mülleimer. Die Fleischbüchsen faßten ein knappes Pfund, die Tomatenbüchsen waren halb so groß, dabei von gleicher Höhe. Mit ihnen fing Grin an. Er füllte sie je zur Hälfte mit Sprenggelatine – mehr hatten sie nicht, aber es war völlig ausreichend. Dann führte er vorsichtig die Glasröhrchen mitdem chemischen Zünder ein. Das Prinzip war denkbar einfach. Sobald Zündstoff und Gelatine miteinander in Berührung kamen, explodierten sie mit einer gewaltigen Sprengkraft. Darum war besondere Vorsicht geboten. Nicht wenige Genossen hatten sich schon selber in die Luft gesprengt, da sie das zerbrechliche Glas gegen das Hülsenblech gedrückt hatten.
    Stieglitz sah mit angehaltenem Atem zu. Hier lernte er etwas.
    Nachdem das Röhrchen behutsam in der sülzigen Masse versenkt war, klappte Grin den aufgeschnittenen Deckel wieder zu und setzte das Gefäß in eine der breiteren Fleischbüchsen. Es ergab sich ein beinahe idealer Zwischenraum, den er bis obenhin mit Schrauben füllte. Nun war nur noch der äußere Deckel zuzukleben, und die Bombe war fertig. Von dem Aufschlag platzten die Röhrchen, die Detonation sprengte das dünne Blech, und die Schrauben verwandelten sich in tödliche Geschosse. Das Patent hatte er mehr als einmal getestet – es funktionierte hervorragend. Nur einen

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