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Tote im Salonwagen

Tote im Salonwagen

Titel: Tote im Salonwagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Nachteil gab es: Da die Schrauben bis zu dreißig Schritt weit flogen, konnte man sich leicht selbst damit Schaden zufügen. Doch dem ließ sich vorbeugen.
    Mitternacht war genau der richtige Zeitpunkt.
    Hauptsache, die anderen kamen nicht auf die Idee, früher anzufangen.
    »Eine miese Ratte, dieser Villefort!« brummte Jemelja beim Umblättern. »Genau wie unsere Amtsrichter.«
     
    Um elf löschten sie das Licht. Sollte die Polizei glauben, daß sie schlafen gingen.
    Einzeln schlüpften sie auf den Hof, die Tür immer nureinen winzigen Spaltbreit öffnend, und legten sich flach unter den Zaun.
    Bald hatten ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt, und sie konnten sehen, wie um Viertel vor zwölf plötzlich Schatten auftauchten, die flink und lautlos von allen Seiten über die weiße Ebene gehuscht kamen.
    Als sie ungefähr zehn Schritt vorm Zaun zum Stehen kamen, bildeten sie einen geschlossenen Ring. Erstaunlich, wie viele es waren. Aber das war gar nicht schlecht. So würde das Tohuwabohu um so größer sein.
    Direkt vor ihnen auf dem Weg ballten sich die Schatten auffallend. Flüstern war zu hören, ein leises metallisches Klirren.
    Als der dunkle Haufe sich der Pforte näherte, gab Grin das Kommando.
    »Jetzt.«
    Er warf ihnen eine der Büchsen entgegen, gleich noch eine zweite hinterher, dann ließ er sich, die Hände auf den Ohren, bäuchlings in den Schnee fallen.
    Von dem Doppelschlag schmerzten dennoch die Trommelfelle. Auch links und rechts von ihm krachte es: einmal und noch einmal, ein drittes, ein viertes Mal. Jemelja und Stieglitz hatten ihre Bomben geschmissen.
    Im nächsten Moment waren sie auf den Beinen und rasten los, solange die Polizisten noch blind und taub waren.
    Beim Hinwegsetzen über die verstreut liegenden Körper staunte Grin, daß die Wunde an seiner Hüfte und die gebrochene Rippe kein bißchen schmerzten. Da konnte man sehen, was es hieß, den Selbstheilkräften des Organismus zu vertrauen.
    Neben ihm stampfte Jemelja. Stieglitz galoppierte voraus wie ein ungestümes Fohlen.
    Als hinter ihnen Schüsse fielen, war es nur noch ein Katzensprung bis zu den rettenden Speicherhäusern.
    Was schossen die überhaupt noch. Es war doch viel zu spät.
     
    Das Quartier am Woronzowo pole erwies sich als komfortabel: drei Zimmer, Dienstbotentreppe, Telefon, sogar ein Badezimmer mit Warmwasserheizung.
    Jemelja verkroch sich gleich wieder in sein Buch – als hätte es die Donnerschläge, die Flucht vor dem Kugelhagel über die verschneite Brache, schließlich die langen Zickzackwege durch dunkle Gassen gar nicht gegeben.
    Stieglitz, restlos erschöpft, fiel auf den Diwan und war im nächsten Moment eingeschlafen.
    Grin besichtigte unterdessen eingehend das Quartier. Er hoffte auf irgendeinen Hinweis, der ihn darauf bringen mochte, wer T. G. war.
    Es fand sich nichts.
    Die Wohnung war vollständig möbliert, doch ganz ohne persönliche Dinge. Keine Nippes, keine Bücher, weder Bilder noch Photographien.
    Nichts sprach dafür, daß hier wirklich jemand wohnte.
    Wozu war die Wohnung dann gut? Für geschäftliche Zusammenkünfte? Als Ausweichquartier?
    Wer es sich leisten konnte, für derlei Zwecke eine Wohnung wie diese zu halten, der mußte sehr reich sein.
    Es roch einmal mehr nach Lobastow.
    Die Sache war mysteriös und darum alarmierend. Zwar mutmaßte Grin keine direkte Gefahr: Wenn dies eine Falle war, wozu hatte man die KG dann erst aus der Umzingelung der Polizei herausmanövriert? Dennoch schien es klüger, recht bald das Weite zu suchen.
    Er rief Nadel an. Gab keine Erklärungen ab, sagte nur, daß sie morgen ein neues Quartier brauchten, und nannte die jetzige Adresse. Nadel versprach am Morgen zu kommen. Man konnte ihr die Unruhe anhören, doch sie war klug genug, nicht weiter zu fragen.
    Schlafen jetzt, befahl sich Grin. Machte es sich im Sessel bequem, ohne die Kleider abzulegen. Den Colt und die vier verbliebenen Bomben legte er vor sich auf einen kleinen Tisch.
    Er merkte erst jetzt, wie müde er war. Auch die Rippe meldete sich leider zurück. Das kam vom schnellen Laufen. Nur gut, daß die Zünder in den Bomben von den Erschütterungen nicht zerbrochen waren.
    Er schloß die Augen. Als er sie wieder öffnete, glaubte er nur einen Moment vergangen – doch draußen vor dem Fenster schien die Sonne, und die Türklingel schellte.
    »Wer da?« tönte Jemeljas satter Baß aus der Diele. Die Antwort war nicht zu hören, doch die Tür wurde geöffnet.
    Grin begriff, daß es Morgen war,

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