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Tote im Salonwagen

Tote im Salonwagen

Titel: Tote im Salonwagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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russischen Staatswesens sicher, genauso aber – und ich gebe zu, daß mir daran noch mehr liegt – ein erkleckliches Pöstchen im Staate Rußland der Gegenwart. Ich möchte nicht den Idealisten herauskehren, ich bin keiner, nicht im geringsten. Schauen Sie sich bloß dieses dämliche Monument dort an.«
    Posharski deutete lässig mit dem Stock auf ein bronzenes Paar: die Retter des Thrones vor der polnischen Invasion. 1 Vom Gespräch abgelenkt, bemerkte Fandorin erst jetzt, daß sie bereits den Roten Platz betreten hatten, dessen linke Flanke vollkommen eingerüstet war: Der Bau des Oberen Kaufhofes ging zügig voran. Vor einer halben Stunde (den beiden Untersuchungsführern war eben aufgefallen, daß sie eine bereits verworfene Version von neuem diskutierten, kein Wunder nach zwei durchwachten Nächten in Folge) hatte Posharski vorgeschlagen, das Gespräch im Gehen fortzusetzen, denndas Wetter war an diesem Morgen prächtig: sonnig, windstill und die Temperatur genau so, wie sie sein mußte, um zu erfrischen und munter zu machen. Inmitten sorgloser Menschen liefen sie die Twerskaja entlang und sprachen von dem, was sie – geeint von gemeinsamem Unglück und akuter Gefahr – im Herzen bewegten. In zehn Schritt Abstand folgten, die Hände in den Taschen, die fürstlichen Schutzengel.
    »Was halten Sie von diesem Mondkalb, meinem hochverehrten Ahnen?« Posharski stieß seinen Stock nach dem sitzenden Riesen. »Fläzt herum und hört sich an, wie ihm der Handelsmann händefuchtelnd Honig um den Bart schmiert. Haben Sie je von einem anderen Posharski als diesem meinem heroischen Namensvetter etwas läuten hören? Nein? Das wundert mich gar nicht. Weil sie nämlich in den drei Jahrhunderten seither bloß ihr Sitzfleisch durchgesessen und ihre letzten Hosenböden abgerieben haben, während Rußland diesen Minins da in die Hände gefallen ist, mögen sie Morosow, Chludow, Lobastow oder sonstwie heißen. Mein Großvater, ein Rjurikide 2 , besaß gerade noch zwei Leibeigene , hat den Acker mit eigenen Händen gepflügt. Mein Vater starb als Leutnant a. D. Mich armes, heruntergekommenes Fürstlein haben sie überhaupt bloß meines wohlklingenden Namens wegen in die Garde aufgenommen. Und was nützt einem die Garde, wenn man keinen müden Heller in der Tasche hat? Fandorin, Sie können sich die Empörung nicht vorstellen, als ich mein Gesuch um Versetzung aus der Gardekavallerie ins Polizeidepartement einreichte. Meine Regimentsgenossen straften mich mit Verachtung, die Vorgesetzten hätten mich am liebsten gleich ganz aus der Gardegeschmissen, hatten nur Angst, den Zaren zu erzürnen. Und heute? Heute sind meine Kameraden von einst gerade mal Hauptmann, ein einziger, der zur Armee gewechselt ist, hat den Oberstleutnant, während ich schon Oberst bin. Und nicht einfach bloß Oberst, sondern Flügeladjutant. Mir geht es nicht um die Achselklappen, Fandorin, nicht darum, etwas herzumachen, dem messe ich keine große Bedeutung bei. Viel wichtiger ist es mir,
entre nous
mit Seiner Majestät beim Frühstück zu sitzen, wenn ich einmal pro Monat im Palast Dienst tue. Das ist mir mehr wert als alles. Und was noch zählt, ist die Einmaligkeit. Das hat es vorher nicht gegeben, daß einem Offizier, der zwar nominell der Garde angehört, aber bei der politischen Polizei ist, daß dem eine solche Ehre zuteil wird. Flügeladjutanten hat der Zar wohl hundert an der Zahl, aber vom Innenministerium bin ich der einzige, und darauf kommt es mir an.«
    Hier nahm der Fürst Fandorin beim Arm, und seine Stimme wurde vertraulich.
    »Ich erzähle Ihnen das alles bestimmt nicht aus naiver Prahlsucht. Es dürfte Ihnen schon aufgegangen sein, daß Naivität nicht zu meinen hervorstechenden Eigenschaften gehört. Nein, ich möchte Sie nur ein bißchen anstupsen, damit Sie dem versteinerten Faultier da nicht ähnlich werden. Sie und ich, mein lieber Fandorin, wir sind Adlige von altem Geschlecht, wir sind die Säulen, auf denen unser Russisches Reich im Ganzen ruht. Meine Sippe leitet sich von den Warägern her, Sie stammen von Kreuzfahrern ab. In unseren Adern pulst das alte Räuberblut, das mit der Zeit herb geworden ist wie alter Wein, dicker als der flaue Zinnober der Krämer und Kaufleute. Unsere Zähne, unsere Fäuste, unsere Krallen müssen kräftiger sein als die der Minins, sonst rinntuns das Imperium durch die Finger, die Zeiten sind so. Sie sind fürwahr ein kluger, geistreicher, mutiger Mann, doch Sie haben diese etepetete aristokratische

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