Tote im Salonwagen
Pomadigkeit an sich. Wenn Sie auf der Straße, pardon, einem Scheißhaufen begegnen, so betrachten Sie ihn durch Ihr Lorgnon und machen einen Bogen darum. Sollen die nächsten hineintreten – Sie werden Ihr Zartgefühl und Ihre weißen Handschuhe nicht damit beschmutzen. Sie entschuldigen, ich spreche mit Bedacht so grob und lästerlich, weil mich das piekt, es ist meine
Idée fixe
seit längerem. Sehen Sie doch nur, in welch exklusiver Situation wir uns befinden – durch Schicksal und glückliche Fügung. Der Chef der Gendarmerieverwaltung ist tot. Der Chef der Geheimpolizei ebenso. Übrig sind Sie und ich. Nun hätte man erwarten können, daß wir einen neuen Mann aus der Hauptstadt als Untersuchungsführer vor die Nase gesetzt bekämen, den Departementsdirektor oder den Minister selbst, aber nein, diese Herren sind durchtrieben. Sie fürchten um ihre Karriere, ziehen es vor, uns sämtliche Vollmachten zu übertragen. Und das soll uns recht sein!« Posharski tat eine schwungvolle Geste. »Wir beide haben nichts zu fürchten und nichts zu verlieren, doch zu gewinnen haben wir sehr, sehr viel. Unbegrenzte Vollmachten – so steht es in dem an uns adressierten Telegramm Seiner Majestät. Verstehen Sie, was das heißt: unbegrenzt? Das heißt im Grunde, daß die politische Polizei in Moskau und darüber hinaus im ganzen Imperium bis auf weiteres unter Ihrer und meiner Leitung steht! Darum sollten wir einander nicht immerzu mit spitzen Ellbogen in die Parade fahren, wie das bislang mit Burljajew und Swertschinski geschah. So Gott will, ernten wir genügend Lorbeeren für zwei. Lassen Sie uns an einem Strang ziehen.«
Fandorins Antwort auf diese Philippika bestand aus ganzen drei Worten.
»Tun wir das.«
Posharski wartete, ob dem noch etwas folgen würde, doch dann nickte er befriedigt.
»Was halten Sie eigentlich von Mylnikow?« fragte er, nun wieder in nüchternem Ton. »Der Rangordnung nach müßte man ihn zum provisorischen Chef der Geheimpolizei machen, doch mir wäre Subzow lieber. Einen Neuen aus Petersburg anzufordern, hielte ich für überflüssig. Der Neue müßte sich erst einarbeiten, so viel Zeit haben wir nicht.«
»Nein, keinen Neuen. Und Subzow ist ein fähiger Mann. Aber was wir jetzt von polizeilicher Seite am nötigsten brauchen, ist nicht Analyse, sondern die p-praktische Kleinarbeit von Agenten und Detektiven, und das ist nun mal Mylnikows Domäne. Außerdem sollte man ihn nicht unnötig kränken.«
»Aber Mylnikow trägt die Verantwortung für die gescheiterte Operation. Deren Ergebnis bekannt ist: Burljajew und drei Agenten tot, fünf weitere verletzt.«
»Mylnikow trifft keine Schuld«, äußerte der Staatsrat überzeugt.
»Ach so?« Posharski sah ihn forschend an. »Woran ist die Operation denn Ihrer Meinung nach gescheitert?«
»An Verrat«, erwiderte Fandorin kurz und trocken. Erst als er sah, wie der Fürst die Stirn verwundert in Falten legte, führte er aus: »Die Terroristen wußten, wann die Operation beginnen sollte, sie waren auf der Hut. Jemand muß sie g-g-… gewarnt haben. Einer von uns. Genau wie im Fall Chrapow.«
»Sagen Sie bloß, das ist Ihre Version? Wieso kommen Sie damit erst jetzt?« fragte der Fürst argwöhnisch. »Sie sindwirklich unnachahmlich. Ich hätte früher mit Ihnen Klartext reden sollen. Aber Ihre Mutmaßung finde ich ziemlich bedenklich. Wen genau haben Sie in Verdacht?«
»Der K-kreis derer, die in die Einzelheiten der Nachtaktion eingeweiht waren, ist nicht groß: Sie und ich, Burljajew, Mylnikow, Subzow. Oberleutnant Smoljaninow könnte vielleicht noch etwas gehört haben.«
Posharski prustete, er fand die Verdächtigungen seines Gesprächspartners wohl absurd, trotzdem begann er an den Fingern abzuzählen: »Gut, machen wir die Probe aufs Exempel. Wenn Sie erlauben, fange ich bei mir selber an. Was könnte ich für ein Motiv haben? Die Operation zu hintertreiben, damit der Ruhm, die KG zur Strecke gebracht zu haben, nicht Burljajew zufällt? Denkbar, aber gewagt. Als nächstes Mylnikow. Der könnte auf den Posten seines Vorgesetzten scharf gewesen sein. Sollte er dafür drei seiner besten Agenten geopfert haben, die er liebt und hegt wie Gevatter Tschernomor seine dreiunddreißig Recken? Ohne überhaupt sicher sein zu können, daß er den Posten bekommt? … Weiter. Subzow. Zugegeben eine unergründliche Persönlichkeit. Und stille Wasser sind bekanntlich tief. Aber wozu sollte er Burljajew ins Verderben stürzen wollen? Um sich eines
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