Tote im Salonwagen
Fandorin etwas einzuwenden.
»Sagten Sie nicht gerade, zu keinem ein Wort? Dann geben Sie Ihren Leibwächtern besser einen freien Tag. Damit wir niemanden unnötig verdächtigen. Ich k-kann selbst bei Petrossow vorbeifahren und Kabine sechs bestellen. Wir treffen uns dort unter vier Augen, berichten einander und besprechen das weitere Vorgehen.«
»Um zehn?«
»Gut. Um z-z-… zehn.«
»Wohlan!« Posharski hob in scherzhafter Theatralik seinen Spazierstock. »Der Worte sind genug gewechselt. Vorwärts, Aristokraten! Die Ärmel aufgekrempelt!«
Petrossows Badehaus nahe der Roshdestwenka, erst kürzlich eröffnet, galt bereits als eine Moskauer Attraktion. Noch vor wenigen Jahren hatte an seiner Stelle ein flaches, unansehnliches Holzhaus gestanden, wo man für fünfzehn Kopeken baden konnte, zur Ader gelassen wurde, Schröpfköpfeangesetzt und Hühneraugen verschnitten bekam. Vornehmes Publikum ließ sich in der schmutzigen, stinkenden Baracke nicht blicken, es zog Chludows Zentralbad vor. Doch dann bekam das Petrossow einen neuen Besitzer, der die Sache anging wie ein echter Europäer und das Haus nach dem neuesten Stand der Technik sanierte. Er errichtete ein steinernes Palais mit Karyatiden und Atlanten, Springbrunnen im Innenhof, die Wände marmorverkleidet, überall in den Räumen Spiegel und weich gepolsterte Diwane, kurz: Das Billigbad hatte sich in einen Tempel der Seligkeit verwandelt, den auch der preziöse Kaiser Heliogabalus nicht verschmäht hätte. Eine Abteilung fürs einfache Volk konnte man indes lange suchen, nur eine für kaufmännische und eine für adlige Kundschaft gab es, je beiderlei Geschlechts.
Letztgenannte beehrte Fandorin mit einem Besuch, gleich nachdem die beiden Untersuchungsführer sich getrennt hatten. Zu dieser frühen Stunde war das Haus noch ohne Gäste; der Bademeister in seinem Eifer führte den verheißungsvollen neuen Kunden persönlich durch die Gemächer.
Die »Adelsklasse« bestand im Kern aus einem Saal mit riesigem Marmorbassin, eingefaßt von dorischen Säulen; dahinter lief eine Galerie um, von der Türen zu den sechs Separées abgingen. Diese betrat man jedoch eigentlich nicht von hier, sondern von der anderen Seite her, wo ein Korridor sich um das ganze Gebäude zog. Der penible Beamte nahm auch diese Kabinen in Augenschein, interessierte sich allerdings weniger für die Silberkübel und die vergoldeten Wasserhähne als für den Riegel an der Tür zum Bassinraum, den er achtsam ausprobierte; anschließend besichtigte er noch den äußeren Korridor. Nach rechts gelangte man in den der Damenwelt vorbehaltenen Teil des Hauses, nach links zurHintertreppe für das Personal. Einen Ausgang zur Straße gab es hier nicht, was Fandorin anscheinend besonders zufriedenstellte.
Die Abmachung mit dem Fürsten erfüllte der Staatsrat nicht ganz exakt. Genauer gesagt, er sorgte für ihre Übererfüllung, indem er für den Abend nicht nur besagte Nummer sechs, sondern auch die übrigen fünf Kabinen reservieren ließ, so daß nurmehr der Hauptsaal für sonstiges Publikum zugänglich blieb.
Dies war aber nur die erste in einer Reihe Merkwürdigkeiten, die Fandorin von hier an beging.
Die nächste war, daß er das Treffen mit Diana, von dem man hätte annehmen sollen, es wäre das Ereignis des Tages, auffällig lax, ja geradezu hemdsärmelig in die Wege leitete.
Er telefonierte mit der »Mitarbeiterin« direkt aus dem Vestibül des Badehauses, verabredete ein sofortiges Treffen und begab sich stracks in das unauffällige Haus am Arbat.
In dem wie stets verdunkelten Zimmer, wo es nach Moschus und dem Staub der seit Ewigkeiten zugezogenen Vorhänge roch, wurde der Gast deutlich anders als bei den letzten beiden Malen begrüßt: Kaum hatte Fandorin den Fuß über die Schwelle gesetzt, als ein seidig rauschender Schatten auf ihn zugeflogen kam. Hände schmiegten sich ihm um die Schultern, ein verschleiertes Gesicht preßte sich gegen seine Brust.
»Gott, mein Gott! Wie gut, daß Sie kommen!« wisperte eine fiebrige Stimme. »Ich habe solche Angst! Es war dumm, wie ich mich aufführte beim letzten Mal, verzeihen Sie, um Himmels willen. Sie sollten einer Frau, die sich in der Rolle der Herzensbrecherin eingerichtet hat, das bißchen Arroganz nachsehen. Die Komplimente, mit denen die HerrenSwertschinski und Burljajew mich überhäuften, haben mir völlig den Kopf verdreht. Der arme Pierre, der arme Stanislas! Wenn ich es geahnt hätte!« Das Flüstern ging in Schluchzen über,
Weitere Kostenlose Bücher