Tote Kehren Nicht Zurück
mich bemühen werde. Wir unternehmen diesmal etwas Besonderes, etwas anderes. Eine Abwechslung vom Alltag.« Meredith erschauerte. Alltag. Das gefürchtete Wort. Das Leben wurde allmählich vorhersehbar. Sechsunddreißig Jahre lang hatte sie diesen Abgrund erfolgreich vermieden, und nun näherte sich unerbittlich die Aussicht auf ein geregeltes Leben ohne weitere Überraschungen. Die Rolle, die sie im Verlauf der letzten vier Tage hatte spielen müssen, hatte dieses Gefühl noch verstärkt. Laut und mehr, um sich selbst zu beruhigen als alles andere, sagte sie zu Alan:
»Ich hab heute Abend eine Regel gebrochen, die ich mir selbst aufgestellt hatte. Ich habe eine Tramperin mitgenommen.« Ein polizeiliches Stirnrunzeln.
»Sehr unvorsichtig von dir.«
»Es war ein Mädchen.«
»Gewalttäter sind nicht ausschließlich Männer. Die Mädchen sind heutzutage manchmal schlimmer als die Jungen«, entgegnete er düster.
»Dieses Mädchen war sehr wohl erzogen und attraktiv … sie war auf dem Weg nach Tudor Lodge.« Das weckte seine Aufmerksamkeit. Er stellte die geöffnete Flasche ab, ohne ein Glas gefüllt zu haben.
»Eine Anhalterin auf dem Weg nach Tudor Lodge? Bestimmt eine Freundin des jungen Luke.«
»Das dachte ich mir auch, aber als ich sie danach gefragt habe, sagte sie Nein. Ich war überrascht. Natürlich könnte sie auch gelogen haben.« Meredith erkannte, dass
»gelogen« vielleicht ein wenig übertrieben klang, und sie beeilte sich, ihre Worte abzuschwächen.
»Sie hat jedenfalls nicht gezögert, bevor sie Nein sagte. Andererseits war sie noch sehr jung und sah wirklich atemberaubend aus. Sie hatte eine prächtige Mähne. Sie war sehr selbstbewusst, vielleicht sogar ein wenig hochmütig.« Meredith schnitt eine Grimasse angesichts des altertümlichen Wortes, doch es schien passend.
»Sie hatte ein sehr vornehmes Benehmen für eine so junge Frau«, erklärte sie und fügte nachdenklich hinzu:
»Sie ist wahrscheinlich aus dem Lastzug ausgestiegen.« Meredith hob eine Hand und schob sich geistesabwesend eine dunkle Locke aus der Stirn.
»Was für einem Lastzug?« Alan war abgelenkt, bis ihm plötzlich der Wein wieder einfiel. Er schenkte zwei Gläser voll.
»Danke. Cheers!« Sie hob ihr Glas und trank einen Schluck.
»Sehr gut. Nun ja, da war ein Lastzug oben an der Ausfahrt, und ich glaube, sie ist aus diesem Lastzug ausgestiegen. Natürlich nur eine Mutmaßung. Sie hatte nur eine kleine Umhängetasche, kein großes Gepäck, und sie hat auch nicht den Daumen gehoben. Ich dachte, es wäre schon ein wenig dunkel, und es war einsam dort draußen, und so beschloss ich, den guten Samariter zu spielen.« Meredith zögerte.
»Ich glaube nicht, dass diese junge Frau schon einmal in Tudor Lodge gewesen ist. Ich frage mich, ob sie erwartet wurde. Ich hatte irgendwie das merkwürdige Gefühl, dass niemand mit ihrem Besuch rechnet. Und ich muss dir sagen, diese ganze Geschichte war schon ziemlich eigenartig.«
»Ist Andrew denn diese Woche zu Hause?«, erkundigte sich Alan.
»Ich denke schon. Ich war letzte Woche bei Carla. Sie erwartete Andrew für den Abend. Die meiste Zeit über weiß sie nicht, wann er auftaucht. Er ist sehr beschäftigt. Carla war aufgebracht, weil er das ganze Jahr noch keine Zeit hatte, um Luke beim Rugby zuzusehen. Sie war ein paar Mal in Cambridge, um sich die Spiele anzuschauen, doch ich denke, der Junge hätte lieber seinen Vater dabei gehabt. Andrew stört es ebenfalls. Ich schätze, sie haben sich irgendwie daran gewöhnt. Andrew arbeitet seit Jahren für die EU, in Brüssel oder Straßburg oder wo auch immer er gerade gebraucht wurde. Das Familienleben der Penhallows muss ganz schön durcheinander sein.«
»Ich hätte jedenfalls nichts dagegen, mal wieder ein wenig mit Andrew zu plaudern«, sinnierte Alan.
»Wir haben uns seit Gott weiß wie lange nicht mehr gesehen, und das ist eine Schande, wenn man bedenkt, wie nahe wir beieinander wohnen.«
»Wir waren beide an Neujahr zum Abendessen bei den Penhallows eingeladen«, erinnerte Meredith ihn.
»Aber du musstest wegen irgendeiner Fälschungsgeschichte arbeiten und hast abgesagt.«
»Wir machen es wieder gut. Sprich mit Carla und finde heraus, wann Andrew das nächste Mal zu Hause ist, und dann gehen wir alle zusammen zum Essen aus und reden von den guten alten Zeiten.« Meredith schnitt eine Grimasse.
»Etwa alte Schulgeschichten und so weiter? Ihr wart im gleichen Jahrgang, richtig?«
»Nicht
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