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Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan

Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan

Titel: Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathy Reichs
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abgesägten Armen und die Furchen der falschen Ansätze. Aaron unterbrach mich ab und zu mit einer Zwischenfrage oder bat mich, etwas langsamer zu sprechen. Ich konnte ihn direkt vor mir sehen, wie er seinen hageren Oberkörper über den Schreibtisch beugte und jeden Millimeter eines Blatts Schmierpapier mit seinen Notizen vollkritzelte. Obwohl Aaron erst zweiundvierzig war, ließen sein ernstes Gesicht und seine dunklen Cherokee-Augen ihn wie über neunzig wirken. So hatte er eigentlich schon immer ausgesehen.
    »Gibt es wirklich tiefe falsche Ansätze?« fragte er interessiert.
    »Nein, nur oberflächliche.«
    »Und die Schwingungsmuster sind klar zu erkennen?«
    »Sehr klar.«
    »Sind die Spuren des Sägeblattflatterns in der Schnittfurche deutlich zu sehen?«
    »Hm. Ja.«
    »Und du bist sicher, daß du beim Berechnen der Zahnabstände keinen Fehler gemacht hast?«
    »Ja. Die Knocheninseln sind an mehreren Stellen sehr ausgeprägt.«
    »Aber ansonsten sind die Böden ziemlich flach?«
    »Ja. Das ist sehr auffällig.«
    »Und wir haben Spanbildung am Ende des Schnittes«, murmelte er mehr an sich selbst gewandt.
    »Eine ziemlich starke sogar.«
    Es folgte eine lange Pause, in der Aaron die Informationen durchging und bewertete. Durch die offene Tür sah ich ein paar Leute den Gang entlang gehen. Ich hörte Telefone klingeln und Drucker surren und wieder verstummen. Ich drehte meinen Stuhl zum Fenster und sah hinaus. Tief unter mir fuhren winzige Toyotas und Fords über die Jacques Cartier-Brücke. Es vergingen einige Minuten, bevor sich Aaron wieder zu Wort meldete.
    »Ich arbeite praktisch blind, Tempe, und ich weiß nicht, wie du es immer wieder schaffst, mich zu solchen Ferndiagnosen zu überreden. Aber gut, hier sind meine Vermutungen.«
    Ich drehte mich auf dem Stuhl herum und stützte die Ellenbogen auf den Schreibtisch.
    »Ich verwette mein letztes Hemd darauf, daß wir es nicht mit einer Motorsäge zu tun haben, sondern eher mit einer ganz speziellen Handsäge. Möglicherweise einer, wie man sie im Lebensmittelbereich einsetzt.«
    Richtig! Ich schlug mit der flachen Hand auf den Schreibtisch, ballte die andere zur Faust und machte in der Luft eine Bewegung wie ein Lokomotivführer, der die Dampfpfeife zieht. Rosa Gesprächsnotizen flatterten auf den Boden.
    Aaron, der mich nicht sehen konnte, fuhr ungerührt fort. »Die Kerben sind zu breit für eine feingezahnte Bügelsäge oder ein Sägemesser. Außerdem scheint mir die Schränkung der Zähne dafür zu stark zu sein. So, wie du mir die Böden der Kerben beschrieben hast, ist es auch keine Säge, die gegen die Faser schneiden soll. Die Zähne dürften also Geradschliff haben. Das alles deutet meiner Meinung nach auf eine Fleischsäge hin, wie Köche oder Metzger sie verwenden, aber um sicher zu sein, müßte ich natürlich die Schnittmarken selber sehen.«
    »Wie sieht so eine Säge denn aus?«
    »Wie eine große Bügelsäge. Die Zähne stehen ziemlich weit auseinander, damit sie sich nicht festfressen. Deshalb hinterläßt die Säge auch die ausgeprägten Inseln, die du bei den falschen Ansätzen gefunden hast. Normalerweise flattert so ein Sägeblatt ziemlich stark, aber beim Schneiden von Knochen ist das nicht so schlimm, weil es hier gut geführt wird. Diese Sägen schneiden gerade und sauber und werden problemlos mit Knochen, Knorpeln und Sehnen fertig.«
    »Gibt es sonst noch eine Säge, die in Frage käme?«
    »Naja, es besteht natürlich immer die Möglichkeit, daß etwas nicht ins übliche Bild paßt. Sägen halten sich an keine Regeln, wie du ja weißt. Aber auf Anhieb fällt mir jetzt keine andere Säge ein, die die beschriebenen Schnittmarken erzeugen könnte.«
    »Du bist wirklich phantastisch, Aaron. Genau an eine solche Säge habe ich auch gedacht, aber ich wollte es von dir hören. Du weißt gar nicht, wie sehr du mir weitergeholfen hast.«
    »Tatsächlich?«
    »Möchtest du dir die Photos und die Abgüsse ansehen?«
    »Gerne.«
    »Dann schicke ich sie dir morgen.«
    Sägen sind eine von Aarons Leidenschaften. Er hat die Schnittspuren sämtlicher bekannter Sägen katalogisiert und verbringt einen Großteil seiner Zeit mit dem Begutachten von Mustern, die ihm kriminaltechnische Labors aus der ganzen Welt zukommen lassen.
    Aaron atmete ein, als wollte er mir noch etwas sagen. Während ich darauf wartete, sammelte ich meine verstreuten Gesprächsnotizen ein.
    »Hast du gesagt, daß die einzigen Knochen, die vollständig durchgesägt wurden,

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