Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan
Jetzt zitterte meine Stimme doch etwas.
»Verdammt noch mal, Brennan, woher soll ich denn das wissen? Das Ganze ist schließlich nicht auf meinem Mist gewachsen.« Zum ersten Mal sah er mir in die Augen. Er sah jämmerlich aus, und es war klar, daß das Gespräch ihm nicht den geringsten Spaß machte.
Ich erwiderte eine Weile seinen Blick, aber in Wirklichkeit nutzte ich die Zeit, um den Adrenalinschub zu kontrollieren, der durch meine Adern jagte. Ich konnte mir in etwa vorstellen, was für Nachforschungen eine Beschwerde von Claudel nach sich ziehen könnte, und ich wußte, daß sie meiner Karriere nicht gerade nützen würde. Als Mitglied der Ethikkommission unseres Berufsverbands hatte ich selbst solche Nachforschungen geführt. Ganz gleich, was letztlich dabei herauskam, waren sie für niemanden erfreulich. Charbonneau und ich saßen uns eine ganze Weile schweigend gegenüber, während draußen das Radio fröhlich weiterdudelte.
Laß deine Wut nicht am Überbringer der schlechten Nachrichten aus, sagte ich mir. Als ich den Blick senkte, fiel er auf die Akte auf meinem Schreibtisch, aus der mir auf einem Dutzend Hochglanzphotos eine Leiche mit milchweißer Haut entgegenleuchtete. Ich überflog die Bilder und sah dann wieder Charbonneau an. Ich hätte meine Gedanken zwar lieber noch eine Weile bei mir behalten, aber Claudel ließ mir keine andere Wahl. Was soll’s? dachte ich. Was hatte ich noch zu verlieren?
»Monsieur Charbonneau, erinnern Sie sich an eine Frau namens Francine Morisette-Champoux?«
»Morisette-Champoux.« Er wiederholte den Namen etliche Male, als blättere er in einem inneren Adreßbuch. »Ist schon ein paar Jahre her, stimmt’s?«
»Fast zwei. Januar 1993.« Ich reichte ihm die Photos.
Er sah sie rasch durch und nickte zustimmend. »Ja, ich erinnere mich an sie. Aber was soll das?«
»Denken Sie nach, Charbonneau. Was fällt Ihnen zu diesem Fall ein?«
»Das wir den Mistkerl, der sie so zugerichtet hat, nie erwischt haben.«
»Was sonst?«
»Jetzt sagen Sie bloß, daß Sie diesen Fall auch noch ihrem Serienmörder zuschreiben wollen, Brennan.«
Er sah sich die Photos noch einmal an, aber jetzt wich sein Nicken einem mißbilligenden Kopfschütteln.
»Auf keinen Fall. Sie wurde erschossen, und das paßt nun mal nicht ins Muster«, sagte er.
»Aber der Bastard hat sie aufgeschlitzt und ihr eine Hand abgeschnitten.«
»Außerdem war sie zu alt. Siebenundvierzig, wenn ich mich richtig erinnere.«
Ich warf ihm einen eiskalten Blick zu.
»Damit meine ich doch nur, daß sie älter als die anderen Opfer war«, murmelte er und wurde rot.
»Der Mörder hat ihr ein Messer in die Vagina gesteckt. Laut Polizeibericht hat sie stark geblutet.«
Ich gab meinen Worten etwas Zeit, damit sie auf ihn einwirken konnten.
»Sie war also noch immer am Leben.«
Charbonneau nickte. Ich mußte ihm nicht erklären, daß eine Wunde, die man jemandem nach dem Tod zufügt, nur sehr wenig blutet, weil das Herz nicht mehr arbeitet und damit kein Blutdruck mehr vorhanden ist. Francine Morisette-Champoux hatte ausgesprochen heftig geblutet.
»Bei Margaret Adkins war es eine Statue aus Metall. Und sie war ebenfalls noch am Leben.«
Ohne ein weiteres Wort griff ich hinter mich und zog die Gagnon-Akte aus dem Regal. Ich nahm die Photos von dem Leichenfund heraus und breitete sie vor ihm auf dem Tisch aus. Sie zeigten den vom Laub befreiten Torso, der im durch das Blätterdach einfallenden Nachmittagslicht auf dem Müllsack lag. Der Gummisauger steckte noch immer zwischen den Beckenknochen, und sein Stiel ragte nach vorn, in Richtung auf den nicht vorhandenen Kopf des Opfers.
»Ich glaube, daß Gagnons Mörder ihr diesen Gummisauger mit soviel Kraft in den Unterleib gestoßen hat, daß der Stiel ihr das Zwerchfell zerrissen hat.«
»Bei allen drei Opfern ist es dasselbe Muster«, redete ich auf Charbonneau ein. »Gewaltsames Einführen eines Fremdkörpers in die Scheide, während das Opfer immer noch am Leben ist, gefolgt von einer Verstümmelung des toten Körpers. Sind das wirklich Zufälle, Mr. Charbonneau? Wieviele dieser Sadisten laufen denn Ihrer Meinung nach da draußen herum?«
Er fuhr sich mit den Fingern durch seine kurzgeschnittenen Haare und fing dann an, auf der Armlehne seines Stuhls herumzutrommeln.
»Warum haben Sie uns das nicht früher gesagt?«
»Weil ich erst heute auf die Verbindung mit dem Morisette-Champoux-Fall gestoßen bin. Mit Gagnon und Adkins allein wäre die Theorie ein
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