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Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan

Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan

Titel: Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathy Reichs
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identifizieren. Der Mann würde nie wieder einen Tankwagen mit Propangas fahren.
    Zu Hause überfielen mich dieselben düsteren Vorahnungen, die ich auch schon in dem Gehölz und später bei der Untersuchung der abgetrennten Gliedmaßen gehabt hatte. Den ganzen Tag über hatte ich mich bemüht, sie in Schach zu halten und mich vollkommen auf die Identifizierung der Leiche und das Zusammensetzen der sterblichen Überreste des Tankzugfahrers konzentriert. Während der Mittagspause hatte ich mich im Park auf eine Bank gesetzt und den Tauben zugesehen. Um mich von meinen trüben Gedanken abzulenken, hatte ich versucht, ihre genaue Hackordnung festzustellen. Eine dicke, graue Taube war der Boß. Als nächste schien ein Tier mit braunen Punkten im Gefieder zu kommen, und eine mickrige Taube mit schwarzen Flügeln war ganz eindeutig sehr weit unten auf der Skala angesiedelt.
    Jetzt, am Abend nach der Arbeit, würde ich Zeit zum Nachdenken haben. Es fing bereits an, als ich den Wagen in die Garage gefahren und das Autoradio ausgeschaltet hatte. Musik aus, Sorgen an. Nein, befahl ich mir. Jetzt iß erst einmal.
    Als ich meine Wohnung betrat, hörte ich das Piepsen der Alarmanlage. Ich stellte aber bloß meine Aktentasche in den Flur, schloß die Tür wieder und ging zu dem libanesischen Lokal an der Ecke, um mir ein Shish Taouk und einen Teller Shawarma zu holen. Was mir an meiner Wohnung in der Innenstadt mit am besten gefällt, ist die Tatsache, daß sich hier im Umkreis von nur einem Block Restaurants aus aller Herren Länder befinden. Ob wohl mein Gewicht in letzter Zeit vielleicht deshalb…? Quatsch.
    Während ich auf mein Essen zum Mitnehmen wartete, betrachtete ich die Vitrine mit den Vorspeisen. Humus. Taboule. Feuilles de vignes. Ein Hoch der Multikultur, bei der Libanon und Frankreich aufeinandertreffen.
    Rechts von der Kasse befand sich ein Regal mit Rotwein, der früher zu meinen bevorzugten Getränken gehört hatte. Die Flaschen riefen, obwohl ich sie bestimmt schon tausendmal gesehen hatte, ein starkes Verlangen in mir wach. Bei ihrem Anblick dachte ich an den Geruch und den Geschmack des Rotweins und an das trockene, leicht scharfe Gefühl, das er auf der Zunge hinterließ. Ich erinnerte mich an die Wärme, die im Magen begann und sich dann nach oben und außen verbreitete, wo sie überall in meinem Körper kleine Feuer des Wohlbehagens entzündete. Es waren die Freudenfeuer der Selbstbeherrschung. Der Kraft. Der Unbesiegbarkeit. Wie gut könnte ich die jetzt gebrauchen, dachte ich. Und wie. Willst du dich zur Idiotin machen? Du weißt doch genau, daß es nicht dabei bleiben wird. Wie war das nochmal? Nach der Unbesiegbarkeit kam die Unverwundbarkeit und dann die Unsichtbarkeit. Oder war es andersherum? Egal. Auf jeden Fall würde ich es wieder zu weit treiben, und dann würde unweigerlich der Absturz folgen. Das Wohlbehagen würde nur kurz anhalten, und der Preis, den ich später dafür würde bezahlen müssen, war schlicht und einfach zu hoch. Nicht ohne Grund hatte ich seit sechs Jahren keinen Alkohol mehr getrunken.
    Ich nahm mein Essen mit nach Hause und verzehrte es gemeinsam mit Birdie und den Montreal Expos. Birdie schlief zusammengerollt in meinem Schoß, und die Expos mußten sich mit zwei Runs weniger den Cubs geschlagen geben. Aber wenigstens sprachen sie und Birdie nicht von dem Knochenfund im Grand Seminaire. Das rechnete ich ihnen hoch an.
    Nach einem langen, heißen Bad fiel ich um halb elf ins Bett. Nun, da ich allein in der Dunkelheit lag und alles um mich herum still war, konnte ich meine Gedanken nicht mehr länger unterdrücken. Sie wucherten wie Zellen, die außer Kontrolle geraten waren, drängten sich in mein Bewußtsein und verlangten, daß ich mich mit ihnen beschäftigte. Es war schon einmal eine junge Frau zerstückelt in unser Labor gekommen. Ich erinnerte mich noch gut daran, wie ich mit ihren Knochen gearbeitet hatte, und sah sie in allen Einzelheiten vor mir. Chantale Trottier. Sechzehn Jahre alt: zusammengeschlagen, erdrosselt, enthauptet und zerstückelt. Sie war nackt in Müllsäcken aus braunem Plastik bei uns abgeliefert worden.
    Ich wollte schlafen, aber mein Kopf ließ mir keine Ruhe. Ich lag wach und beobachtete, wie sich Gedankengebirge formten, während Kontinentalplatten sich in meinem Unterbewußtsein gegeneinander verschoben. Als ich schließlich doch einschlief, geisterte mir noch immer ein einzelnes Wort im Kopf herum. Ein Wort, das mich das ganze Wochenende über

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