Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan
dachte an das, was J. S. gesagt hatte. Konnte ich es vielleicht irgendwie verwenden, um mich aus dieser Situation zu befreien?
»Bitte, ich möchte mit Ihnen reden. Warum gehen wir nicht etwas trinken und –«
»Halts Maul, dumme Kuh!«
Sein Arm riß so stark an der Kette, daß mir ein flammender Schmerz durch Kopf und Hals schoß. Instinktiv hob ich die Hände, aber es half nichts.
»Die große Doktor Brennan trinkt nicht, das weiß doch jedes Kind.«
Durch den Schleier meiner Tränen sah ich, wie seine Augenlider wie verrückt zwinkerten. Er war kurz davor durchzudrehen. Oh Gott! Hilf mir bitte!
»Du bist genau wie all die anderen. Du hältst mich wohl für einen Idioten, nicht wahr?«
Mein Gehirn schickte mir nur noch zwei Botschaften. Weg hier! Du mußt Katy finden!
Er zog an der Kette, während der Wind ums Haus heulte und der Regen gegen die Fenster prasselte. Ich hörte eine Autohupe. Der Geruch seines Schweißes vermischte sich mit dem meinen. Seine glasigen, vollkommen irrsinnigen Augen starrten mir direkt ins Gesicht. Mein Herz hämmerte wie wild.
Dann hörte ich ein weiches Plopp im Schlafzimmer, das seine Aufmerksamkeit von meinem Gesicht ablenkte. Birdie erschien in der Tür und gab ein Geräusch von sich, das eine Mischung aus Quieken und Knurren war.
Als er sich umblickte, nutzte ich die Chance. Ich riß das rechte Knie nach oben und rammte es ihm mitten zwischen die Beine. Meine Angst und mein Haß auf ihn hatten mir offenbar ungeahnte Kraft verliehen, denn er schrie laut auf und krümmte sich nach vorn. Ich riß ihm das Ende der Kette aus der Hand, wirbelte herum und rannte von Grauen und Verzweiflung getrieben den Gang entlang. Es kam mir vor, als bewege ich mich in Zeitlupe.
Er erholte sich rasch, und sein Schmerzensschrei verwandelte sich in ein Wutgeheul.
»Du Nutte!«
In dem schmalen Gang wäre ich fast über die Kette gestolpert. »Du dreckige Nutte, ich bring dich um!«
Laut schnaufend folgte er mir. »Du gehörst mir! Du kommst hier nicht weg!«
Ich stolperte um die Ecke und versuchte verzweifelt, im Laufen meine Handgelenke aus der Kette zu winden. Das Blut dröhnte mir in den Ohren, und ich bewegte mich wie ein Roboter. Der Sympathikus hatte die Kontrolle über mein Gehirn übernommen.
»Blöde Fotze!«
Weil er mir den Weg zur Wohnungstür abschnitt, rannte ich in Richtung Küche. Raus ins Freie! In den Garten! Dieser Gedanke peitschte mich voran.
Endlich gelang es mir, meine rechte Hand aus der Kette zu befreien.
»Du gehörst mir, du Nutte!«
Als ich schon zwei Schritte in der Küche war, durchfuhr mich ein so starker Schmerz, daß ich dachte, meine Halswirbel seien gebrochen. Mein Kopf wurde nach hinten und mein linker Arm nach oben gerissen.
Es war ihm gelungen, die an meinem Rücken herabhängende Halskette zu fassen. Mit meiner freien Hand versuchte ich, sie zu lockern, aber immer, wenn es mir ein wenig gelang, zog er sie wieder fester zu. Ich wand und drehte mich, aber dadurch schnürte sich die Kette nur noch fester um den Hals.
Ganz langsam zog er mich wieder näher an sich heran. Ich spürte durch die gestraffte Kette, wie sein Körper zitterte und bebte. Glied um Glied holte er die Kette ein. Mir wurde so schwindelig, daß ich glaubte, jeden Augenblick ohnmächtig zu werden.
»Das wirst du mir bezahlen, du Kuh«, zischte er.
Vom Sauerstoffmangel kribbelten mir Gesicht und Fingerspitzen, und in meinen Ohren hörte ich ein dumpfes Rauschen. Das Zimmer fing an, sich zu drehen. Ein Muster von kleinen, schwarzen Pünktchen formte sich in der Mitte meines Gesichtsfelds. Rasch klumpten sich die Pünktchen zu einer dunklen Wolke zusammen, durch die ich die gekachelte Küchenwand wie in Zeitlupe auf mich zukommen sah. Ich streckte die rechte Hand aus, um mich abzustützen, taumelte gegen die Küchentheke und schlug mit dem Kopf an einen der Hängeschränke.
Er ließ die Kette los, spreizte die Beine und schmiegte seinen Körper fest an den meinen. Dann drückte er mich an die Küchentheke, so daß sich mir eine Ecke der Geschirrspülmaschine in den Unterleib bohrte. Wenigstens konnte ich jetzt wieder atmen.
Ich spürte, wie sich seine Brust hob und senkte. Er tastete nach der Kette, packte sie wieder fester und riß damit meinen Kopf nach hinten. Dann bohrte er mir mit der anderen Hand die Messerspitze in den Unterkiefer. Ich spürte den kalten Stahl direkt über meiner Halsschlagader und fühlte seinen Atem an meiner linken Wange.
Eine halbe Ewigkeit hielt er
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