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Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan

Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan

Titel: Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathy Reichs
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die rechte Seite des Autopsietisches. Mit professioneller Gelassenheit luden sie die Leiche um und rollten sie in Richtung Röntgenraum.
    Ohne ein Wort zu sagen, setzte ich mich auf den Stuhl neben Charbonneau. Er erhob sich, nickte und lächelte mir zu. Dann nahm er einen letzten Zug von seiner Zigarette und trat sie auf dem Boden aus.
    »Hallo Dr. Brennan. Wie geht es Ihnen?«
    Charbonneau sprach immer Englisch mit mir, denn er war stolz darauf, wie gut er die Sprache beherrschte. Sein Akzent allerdings war eine seltsame Mischung aus Québecois und Südstaatenslang, denn er hatte zwei Jahre auf einem Ölfeld in Ost-Texas gearbeitet.
    »Gut«, antwortete ich, »und Ihnen?«
    »Kann mich nicht beklagen.« Er zuckte mit den Achseln, wie nur die Franzosen es können: mit nach vorne gezogenen Schultern und zum Himmel gedrehten Handflächen. Charbonneau hatte ein breites, freundliches Gesicht und abstehende, graue Haare, die mich immer an eine Seeanemone erinnerten. Er war ein großer Mann mit einem überdurchschnittlich breiten Hals, dem jeder Hemdkragen zu eng zu sein schien, auch wenn seine Krawatte praktisch immer auf Halbmast hing oder seitlich verrutscht war. Charbonneau lockerte sie jeden Morgen, kaum daß er mit der Arbeit begonnen hatte. Vielleicht wollte er damit dem unbeabsichtigten Verrutschen zuvorkommen, vielleicht wollte er es sich aber auch nur bequem machen. Im Gegensatz zu den meisten anderen Detectives der CUM war er nicht allzu modebewußt. Oder vielleicht war er es doch, und niemand merkte es. Heute trug er ein blaßgelbes Hemd, Polyesterhosen und ein grünkariertes Sportjackett.
    »Haben Sie schon die Tatortphotos gesehen?« fragte er und nahm einen braunen Briefumschlag vom Tisch.
    »Noch nicht.«
    Er zog einen Packen Polaroids aus dem Umschlag und gab sie mir. »Das hier sind nur die überzähligen Bilder, die sie mit der Leiche geschickt haben.«
    Ich nickte und begann, mir die Photos durchzusehen. Charbonneau beobachtete mich dabei genau. Vielleicht hoffte er, Claudel erzählen zu können, ich sei angesichts des Gemetzels zusammengezuckt, vielleicht war er aber auch nur auf meine Reaktion gespannt.
    Die Aufnahmen waren chronologisch geordnet und zeigten den Tatort so, wie die Polizei ihn vorgefunden hatte. Auf dem ersten war eine schmale Straße mit alten, aber gepflegten Gebäuden auf beiden Seiten zu sehen, die alle zwei Stockwerke hoch waren. Den Gehsteig säumte rechts und links je eine Reihe von Bäumen, deren Stämme aus viereckigen Aussparungen im Asphalt wuchsen. Jedes der Häuser hatte einen handtuchgroßen Vorgarten, durch den ein Weg zu einer steilen Metalltreppe führte.
    Die nächsten Photos zeigten eine Fassade aus roten Ziegelsteinen. Hier waren schon mehr Details zu erkennen als auf den Übersichtsaufnahmen. Über zwei Türen im ersten Stock waren Metallplatten mit den Zahlen 1407 und 1409 befestigt. Unter einem der Fenster im Erdgeschoß hatte jemand drei einsame Ringelblumen gepflanzt, die jetzt aber verblüht waren und die Köpfe hängen ließen. Sie sahen so aus, als wären sie traurig darüber, daß sie jemand hier hingepflanzt und dann im Stich gelassen hatte. Ein Fahrrad lehnte an dem verrosteten Eisenzaun, der rings um den Vorgarten lief, und ein ebenfalls verrostetes Blechschild steckte auf einem kurzen Pfahl so knapp und schräg über dem Boden, als wolle es seine Botschaft vor den Blicken der Passanten verbergen: A vendre. Zu verkaufen.
    Das Haus ähnelte den anderen Häusern in der Straße. Es hatte dieselbe Treppe, denselben Balkon, dieselben Doppeltüren und dieselben Spitzenvorhänge. Warum ausgerechnet dieses Haus? fragte ich mich. Warum nicht Nummer 1405? Oder das Haus gegenüber?
    Jedes Photo brachte mich dem Tatort näher. Es war, als würde man bei einem Mikroskop eine immer stärkere Vergrößerung einstellen. Die nächste Serie von Aufnahmen zeigte das Innere der Wohnung. Auch hier fand ich die Details besonders interessant. Kleine Zimmer. Billige Möbel. Der unvermeidbare Fernseher. Ein Wohnzimmer. Ein Eßzimmer. Ein Kinderzimmer, an dessen Wänden Poster von Eishockey-Stars hingen. Ein Buch, das auf dem schmalen Bett lag: So funktioniert das. Mit Wehmut konstatierte ich, daß es auf dieser Welt Dinge gab, die auch das beste Buch nicht erklären konnte.
    Margaret Adkins hatte offenbar ein Faible für Blau gehabt, denn alle Türen und jeder Quadratzentimeter Holz im Haus waren in dieser Farbe lackiert. Es war ein kräftiges Blau, das mich an Häuser auf

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