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Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan

Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan

Titel: Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathy Reichs
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zeigte, das ich auf dem Autopsietisch kennengelernt hatte.
    Ein weiteres Photo zeigte eine ältere Frau mit gebleichten, dauergewellten Haaren und einen kleinen Jungen in einem T-Shirt der Montreal Expos. Zwischen ihnen stand ein bärtiger Mann mit Brille, der seine Arme schützend um die beiden gelegt hatte. Alle drei sahen traurig und verwirrt aus wie viele Menschen, deren Leben durch ein Gewaltverbrechen urplötzlich völlig verändert wurde. Ich kannte diesen Blick nur zu gut. Aus der Bildunterschrift ging hervor, daß es sich um die Mutter, den Sohn und den Ehemann der Toten handelte.
    Und dann war da noch ein Photo, dessen Anblick mich mit Unbehagen erfüllte. Es zeigte mich bei einer Exhumierung im Jahr 1992 und war mir ziemlich vertraut, weil es seither von mehreren Zeitungen abgedruckt worden war. Ich wurde, wie üblich, als anthropologiste americaine bezeichnet.
    »Verdammt!«
    Birdie wedelte mit dem Schwanz und sah mich strafend an. Ich kümmerte mich nicht darum. Mein Vorsatz, die Morde über das verlängerte Wochenende aus meinen Gedanken zu verbannen, war nur sehr kurzlebig gewesen. Eigentlich hätte ich es mir ja denken können, daß die Geschichte in der heutigen Zeitung stehen würde. Ich trank meinen inzwischen kalt gewordenen Kaffee aus und wählte Gabbys Nummer. Keine Antwort. Obwohl es eine Unzahl von Gründen dafür geben konnte, machte mich dieser Umstand zusätzlich nervös.
     
    Ich ging ins Schlafzimmer, um mich für mein Tai Chi umzuziehen. Der Kurs findet normalerweise am Dienstag Abend statt, aber der Lehrer hatte uns für den Feiertag eine Extrastunde angeboten. Ich hatte nicht so recht gewußt, ob ich daran teilnehmen sollte, aber nach der Lektüre des Artikels und meinem vergeblichen Telefonanruf bei Gabby war die Entscheidung gefallen. Wenigstens für ein, zwei Stunden wollte ich einen klaren Kopf haben.
    Leider schafften es auch die neunzig Minuten mit Übungen wie »Den Schwanz des Vogels greifen«, »Die Hände in den Wolken schwingen« und »Die Nadel auf dem Meeresgrund« nicht, meine düstere Stimmung zu vertreiben. Im Gegenteil, ich war so abgelenkt, daß ich die ganze Zeit über nicht in den Rhythmus der Übungen hineinkam. Danach war ich noch schlechter gelaunt als zuvor.
    Auf der Heimfahrt schaltete ich das Radio ein und versuchte, meine Gedanken zu ordnen. Die heiteren wollte ich pflegen wie ein Schäfer seine Herde, die trübsinnigen wie einen reißenden Wolf verjagen. Ich war wild entschlossen, das Wochenende doch noch zu retten.
    »… gestern zwischen zehn und zwölf Uhr vormittags ermordet. Madame Adkins war mit ihrer Schwester verabredet, kam aber nicht zu dem vereinbarten Treffen. Man fand ihre Leiche in der Avenue Desjardins Nummer 1327. Die Polizei konnte keine Spuren eines gewaltsamen Eindringens entdecken und vermutet deshalb, daß Madame Adkins ihren Mörder gekannt haben muß.«
    Ich wußte, daß ich eigentlich einen anderen Sender hätte einstellen müssen, aber statt dessen ließ ich mich von der Stimme des Nachrichtensprechers fesseln. Sie brachte mir die Frustrationen, die die ganze Zeit in meinem Hinterkopf vor sich hingeköchelt hatten, erst so richtig zu Bewußtsein und zerstörte damit die letzten, schwachen Hoffnungen auf ein erholsames Wochenende.
    »… bisher wurden die Ergebnisse der Autopsie noch nicht bekanntgegeben. Die Polizei befragt inzwischen Nachbarn und Freunde des Opfers. Dieser Mord ist der sechsundzwanzigste in diesem Jahr in Montreal. Wer Hinweise hat, die zur Aufklärung dieses Verbrechens fuhren könnten, soll sich unter der Nummer 555-2052 bei der Mordkommission melden.«
    Ohne daß ich mich bewußt dafür entschieden hätte, drehte ich um und fuhr wie ferngesteuert zum Labor. Als ich zwanzig Minuten später ankam, wußte ich noch immer nicht, was ich dort eigentlich herauszufinden hoffte.
    Im Gebäude der Sûreté du Québec war nichts von der sonst üblichen Geschäftigkeit zu spüren. Es war leer bis auf ein paar Leute, die Feiertagsdienst hatten. Die Wachmänner in der Eingangshalle beäugten mich wortlos mit mißtrauischen Blicken. Vielleicht lag das daran, daß ich Trainingsklamotten und Pferdeschwanz trug, vielleicht aber ärgerten sie sich auch bloß darüber, daß sie am Feiertag arbeiten mußten. Mir war es egal.
    Die Gänge des LML und des LSJ waren vollkommen ausgestorben. Mir kam es so vor, als würden die leeren Büros und Laborräume Atem schöpfen und ihre Kräfte für die Nachwirkungen eines langen, heißen

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